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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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zittert und pfeift. Dampf zischt und steht wie Rauch zwischen den Kübelpflanzen, und in der nun folgenden Stille höre ich mich wimmern, höre die Robos gegen die Tür schlagen und sehe eine Frau kopfunter aus der Führerkanzel hängen. Glassplitter glitzern in ihren dunklen Haaren. Aus ihrem Gesicht, das noch immer halb unter der glotzäugigen Brille verborgen ist, tropft Blut.
    Ich bin ganz ruhig, schlüpfe in meine Stiefel, greife mir das lebende Kleid aus der Nährlösung, in der es nachts immer liegt, laufe zu der Frau. Erst als ich sie erreiche,werfe ich einen Blick zurück auf den Präsi. Er, noch halb im Bett, alle viere von sich gestreckt, zappelt, in die Kissen gedrückt, wie ein betäubter Frosch. Er ist dort festgenagelt von einem heruntergestürzten Stück aus der Decke, groß und weiß wie ein Grabstein. Er rudert nur schwach. Er ist nicht tot. Auch die Frau ist nicht tot.
    »Schnell«, keucht sie, »schnell, schnell, wir müssen hier raus. Gleich fliegt alles in die Luft.«
    Ich knöpfe sie hastig und unbeholfen aus den Gurten und Schnallen. Sie schreit Anweisungen. Sie reißt die Brille vom Gesicht. Sie ist nicht viel älter als ich.
    Der Präsi hat sich halb unter dem Brocken hervorgearbeitet. Er quiekt. Die Robos rammen etwas Schweres gegen die Tür. Die Frau kann stehen. Sie hilft mir, hinaufzuklettern durch das heiße Gestänge und durch das geborstene Glas und weiter auf das Dach des Nebengebäudes. Ich habe überall Schnitte und Kratzer. Sie auch. Wir rennen über die flachen Dächer. Sie humpelt und stolpert. Sie fällt und steht wieder auf. Wir laufen in Richtung der großen Glaskuppel, die im Regen leuchtet wie ein riesiges silbernes Ei.
    Und da hebt sich eine große tarnfarbene Fluglibelle mit Brausen über die Kuppel und senkt sich zu uns herunter. Der Wind, den sie macht, bläst uns fast um. Der Regen trifft mich hart und macht mich blind.
    »Los!«, ruft die Frau und rappelt sich auf. »Los!«
    Ich versuche, auf die Kufen zu springen, rutsche ab, schaffe es und klammere mich fest. Arme greifen nach uns, heben uns hoch. Man zerrt uns grob, wie zwei fühllose Säcke, in die enge Kanzel, in der sich schon viele Leiber drängen.
    Auf den Dächern rennen Leute hin und her. Robos stürzen auf uns zu. Leuchtgeschosse explodieren um uns herum wie Feuerwerk. Ein Blitz teilt den Himmel, trifft die Kuppel, und blaue Flammen zucken über das Metallgestänge. »Lass sie explodieren«, denke ich, aber nichts passiert. Mein Kleid leuchtet kirschrot in der dunklen Kabine.
    Der Donner übertönt fast das Gelächter und die lauten Stimmen um mich herum.
    »Deinen Pilotenschein kannst du dir ans Bein schmieren, Daisy.« Eine Frauenstimme, dicht neben meinem Ohr.
    Meine Retterin – oder bin ich ihre Retterin? – kichert.

TARA
    Wir haben einen Chopper verloren, aber eine Novizin gewonnen, eine ganz besondere Novizin. Neila drückt es so aus: »Die Große Mutter gibt uns, um was wir sie bitten. Nicht nach unserem Plan, sondern nach ihrem Plan.«
    Heute am frühen Morgen und in einem wahren Wolkenbruch bringen sie das Mädchen. Es ist die kleine Krawitz, geradewegs aus den Verliesen des Monsters. Sie wird desinfiziert und geschoren, so wie ich, als sie mich brachten. Meine Haare sind schon wieder nachgewachsen und elegant geschnitten, von unseren Barbierinnen. Ich gefalle mir.
    Die Kleine sieht jetzt aus wie ein Junge, aber sie ist fröhlich und hat guten Appetit. Natürlich muss sie erst mal die Exerzitien durchmachen. Sie muss instruiert werden, das arme Ding. Die Verhöre kommen in ein paar Tagen.
    Es ist seltsam für mich, sie zu sehen. Ich schaue sie genau an. Ich weiß, was sie alles erlebt hat. Sie hat große Augen und einen lachenden Mund. Sie gefällt mir. Mingus, wie sich sein Gesicht veränderte, wenn er von ihr sprach. Der kleine Bruder. Er glaubt, sie sei seine Familie, seine Verantwortung, sein anderes Ich. Wenn er noch lebt, wenn er noch frei herumläuft, wird er sie suchen. Sie könnte unser Köder sein. Ich wünsche mir nichts so sehr, als ihn hier in Sicherheit zu wissen. Nicht dass ich glaube, hier wäre der Ort, an dem ich für immer bleiben sollte. Obschonmeine gute gayanische Ausbildung und die Jahre im »gesegneten Tal« mich eingeholt haben, sobald ich wieder hier war. Etwas wie Zugehörigkeitsgefühl ist neu in mir erwacht. Ich bemerke wohl, dass ich von »uns« spreche und dass ich Stolz fühle, wenn ich sehe, wie prächtig die Felder gedeihen, wie wütend unsere jungen

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