Mingus
dich zu sich rufen. Willst du jetzt gekämmt werden? Du bist eine Schönheit. Du bist wie eine Knospe. Bald wirst du …«
»Lass den Quatsch. Was soll das alles? Du bist doch eine Aristo wie ich. Wieso gibst du dich dazu her, hier als Magd zu schuften?«
»Ach, du süße Kleine, du bist ja noch ein solches Kind. Wirklich! Noch verstehst du gar nichts. Halt still! Ich werde dich erwecken und dir zeigen, was Glückseligkeit bedeutet.«
Da bin ich mal gespannt.
»ER ist wie eine Sonne, die hellste strahlendste Macht. ER ist Güte und Menschlichkeit in einer Person. ER ist Schönheit.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, schreie ich.
Sie lacht fröhlich und legt sich zu mir aufs Bett.
»Warum sagst du IHM nicht einfach alles, was ER wissen will? ER braucht … Wir alle brauchen in diesem Augenblick deine Liebe und dein Vertrauen, kleine Nin. So sehr! ER ist ein Mensch, verwundbar und mutig zugleich. Wir stehen vor dem Sprung in ein neues Zeitalter. ER ist unser aller Vater, der nichts weiter …«
Ich lache. Jetzt weiß ich, woher der Wind weht.
»ER könnte dich für immer reich und berühmt machen – und glücklich. Deine Eltern dazu und dieses arme Tierwesen ebenfalls … du fühlst etwas für dieses arme Geschöpf ?« Ihre Augen sind plötzlich schmal und kalt.
»Keineswegs!«, brülle ich.
Sie wälzt sich in den Kissen herum und lacht schallend.»Dachte es mir!«, flüstert sie. »Hast du dieses Tier … mit diesem Tier …?«
Ich schlage nach ihr, aber sie rollt sich zur Seite.
»So leidenschaftlich, kleine Nin? Heb dir das auf … für später.«
Wenn sie ein Robo ist, dann ist sie wirklich ein Kunstwerk.
Nachts öffnet sich die Zimmerdecke über mir und wird durchsichtig. Ich höre dann deutlich den Regen prasseln. Durch die Paneele aus blauem Glas, auf denen sich das Wasser kräuselt, sehe ich über mir den Nachthimmel und verschwommen alle möglichen Flugmaschinen, die vorüberfliegen, kurven und blinken. Sie sind wunderschön anzuschauen.
Ich kann Mama nicht rufen. Mein Chip für Gonzo ist noch da, ich betaste ihn am rechten Unterarm. Ich hoffe, ich habe ihn richtig programmiert. Ich hoffe, Gonzo ist heil und sucht nach mir. Wahrscheinlich wartet er erst mal in unserem Versteck. Und es regnet und regnet.
Was wird der Präsi mit mir machen? Ich habe schreckliche Geschichten gehört über ihn. Mama sagt, das stimmt nicht. Seine Feinde erfinden solche Geschichten von verschwundenen Frauen, von seltsamen Ritualen. Sie sagt, jeder mächtige Mann ist umgeben von Neidern. Sie sagt, die Gayanerinnen haben solche Gerüchte in Umlauf gebracht. Ich glaube, Mama hat keine Ahnung.
MINGUS
Diese alten Männer haben wenig Verstand, das ist mein Glück.
Heute, als sie mich noch vor der Suppe zum Wachwerden vor den Mono geschleppt haben – er steht an diesem Morgen in einer besonders ekelhaft riechenden Wolke aus verbrannten Tierschädeln und Haaren –, kippte er ganz plötzlich vornüber, ohne dass jemand ihn berührt hätte, trifft mich am Kopf und streckt mich nieder. Ich brülle, zum ersten Mal seit Tagen, brülle ohrenbetäubend, und es tut gut, meine ganze Verzweiflung herauszuschreien.
Es zeigt sich, dass Mono mir beim Fall sein verästeltes Geweih in die Stirn gebohrt hat. Ich blute.
»Er hat ihn gezeichnet. Seht her!« Alan wischt meine Stirn mit zitternden Fingern frei. »Sieben saubere Male!«, schreit er. »Das ist unser Zeichen.«
Wenn nur Tara all das miterleben könnte. Sie hätte mich gelobt, ja bewundert. Immer hat sie gesagt, ich sei ein Glückskind: Erst Papa und dann den Wissenschaftlern und schließlich der Ci-Po zu entkommen, das wäre keinem Sterblichen möglich – ohne Glück.
Ikike, unser Koch, hat einen Verwandten in der Oberstadt, Gosswin. Er ist zwar kein Aristo, aber er geht dort ein und aus. Er gehört zum Wartungsteam. Ikike wird ihn abfangenund gefügig machen, sagt er. Ich will gar nicht wissen, wie. »Sonst hol ich mir seine Frau und seine Töchter«, sagt Ikike. Er genießt es, im Mittelpunkt zu stehen.
»Aber die Waffen, sie untersuchen am Tor alle auf Waffen«, sagt jemand.
»Einer reicht«, sage ich. »Einer von uns – ohne Waffen«, sage ich, »die anderen draußen an der Mauer, um sie aufzufangen, und bereit, im Notfall hochzuklettern. Schafft ihr das mit euren alten Knochen?«
Sie brüllen vor Empörung.
»Der eine«, sagt Alan und schaut mich an, als wisse er, von wem ich spreche, »der eine sollte aber ein Säckchen Beifußpollen dabeihaben. Ein paar
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