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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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Sie singt vor sich hin. Unseren Plan, ihren Plan haben wir aufgegeben. Neila hat Verdacht geschöpft. Es ist alles zum Kotzen.
    Der Tisch für die Männer steht in ihrem Garten. Die Bäume fangen an, grün zu werden. Es gibt schon Blumen, und das Gras sprießt. Trotzdem ist es noch kühl. Die Frauen essen an langen Tafeln vor dem Tempel. Die Türen sind offen, und die Große Mutter verschwindet in einem Wald von blühenden Zweigen. Unsere Gärtnerinnen haben sie geschnitten und in den Gewächshäusern zum Blühen gebracht. Es sieht alles sehr schön aus und festlich, das muss ich sagen, und ich versuche, mich ein bisschen zu freuen.
    Die ersten Tischmädchen stehen schon Schlange und fangen an, die großen Näpfe zu den Tischen zu tragen. Näpfe voll bis zum Rand. Die Frauen an den Tischen sitzenschweigend nebeneinander. Nicht wie sonst, wo gelacht wurde und gesungen. Macht nichts. Jedenfalls sitzen alle zusammen, dicht an dicht aufgereiht. Alle in den dunkelblauen Festroben. Alle mit den ersten gelben Primeln im Haar.
    Tara fängt mich ab, als ich zur Tür hinauswill, um beim Servieren zu helfen.
    »Du isst keine Suppe!«, sagt sie leise und schaut mir in die Augen. »Hast du mich verstanden? Du isst nichts von der Suppe.«
    Ich kann sie nicht fragen, warum, das Tablett, das ich halte, ist schwer, und die Mädchen drängen mich weiter.
    »Geh hinauf in deine Kammer«, flüstert Tara, als ich Nachschub hole. »Sofort. Du bist krank. Mach schon. Wir kommen hier alleine klar.«
    Etwas an der Art, wie sie mich anschaut, etwas in ihrer Stimme macht mich gefügig. Ich steige die Treppe hinauf und fühle mich wirklich krank. Ich lege mich aufs Bett. Unten höre ich das Klappern von Geschirr. Auch ein leises Gemurmel einer aufkommenden Unterhaltung. Ich habe Hunger und esse ein paar Hände voll Nüsse aus meiner Ma-Dose. Heimlich gebunkert, dann schlafe ich ein bisschen. Vielleicht träume ich von Mingus.
    »Pack deine Sachen!« Tara steht vor meinem Bett. Sie trägt ein Bündel, sie ist in ihre Wintertunika gewickelt. Sie hat Wanderstiefel an.
    Sie schiebt mich zum Fenster, und da sehe ich es. Die Tafel der Frauen, auf der noch das Geschirr steht, an der noch die Frauen sitzen, mit den Köpfen auf der Tischplatte,mit von sich gestreckten Armen, mit unter dem Gesicht verschränkten Armen, einige liegen neben den umgekippten Stühlen im jungen Gras. Es ist ganz still. Drüben aus dem Garten der Männer kommt kein Geschrei, kommt überhaupt kein Laut. Durch die Zweige der Bäume sehe ich Gestalten um den Tisch liegen oder auf dem Tisch.
    »Schlafen«, sagt Tara. »Pack ein!«
    »Hast du sie vergiftet?«, frage ich und lasse mich kraftlos aufs Bett sinken.
    »Ach was«, sagt Tara und öffnet meinen Schrank. »Sie schlafen. Ich war mal eine berühmte Chemikerin, das hast du wohl vergessen.«
    Ich fange an, kopflos Kleider aus dem Schrank zu reißen. Tara sucht heraus, was ihr gut erscheint. Sie holt die Stiefel unter dem Bett hervor und sagt leise: »Keine Angst, Häschen, sie werden eine Weile schlafen. Erfrieren werden die nicht bei dem Wetter, und nachher werden sie nur ein bisschen dämlich sein im Kopf, und das ist uns recht, oder?«
    Ich nicke.
    Ich umarme Tara. Mit einem Mal bin ich ganz wach und ganz aufgeregt.
    »Der Chopper«, rufe ich.
    »Hoffentlich fliegt das verdammte Ding«, sagt Tara. »Jetzt bist du dran.«
    Ich lache laut, breite die Arme aus, drehe mich einmal um mich selbst.
    »Wie Chopper?« Meine Stimme überschlägt sich. »Wir nehmen eine Libelle!«

MINGUS
    Aglaia hat mich gerufen. Sie steht da und wartet auf mich, direkt vor dem Wandbehang, auf den die Frauen alles mögliche Getier gestickt haben, Getier, das ich nicht kenne. Sie steht da in der Morgensonne und sieht so aus, als werde sie mir gleich etwas Wichtiges sagen. Sie hat sich dort aufgebaut, das kann ich sehen. Und sie ist unruhig, das kann ich fühlen, bis hierher zur Tür.
    »Was gibt’s?«, frage ich lässig. Ich habe das gelernt. Ich habe vieles gelernt aus den bunten Flimmergeschichten, diesen ganzen Filmen, die wir abends anschauen, manchmal drei oder vier nacheinander, bei Luis und Baro unter den großen ausgestopften Fischen, die sich an der Decke drehen. Luis und Baro haben das gemütlichste Haus von allen.
    Aglaia wartet, lässt mich kommen. Sie wirft ihre Haare nach hinten und hebt das Kinn.
    »Ich will dir was zeigen«, sagt sie und nimmt das Schwert von der Wand. Das Schwert, das dort immer hängt und an dem manchmal Blumen

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