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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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hier sind gar nicht fähig zu lügen‹, sagt er, ›sie haben es ganz ungefragt erzählt … Ja. Ein Löwe.‹ Er spricht laut. Ich höre jedes Wort. Dann, nach einer Pause: ›Ich dachte wegen der Jagd, Durchlaucht. Hier könnten Sie …‹ Ich sehe sein Gesicht riesengroß, er schwitzt. ›Raus‹, brüllt der Präsi, und ich ziehe mich eilig zurück. So eilig, wie es eben geht, wenn man rückwärtslaufen muss. Der Präsi brüllt auch den Doktor an, er ist vom Diwan gesprungen. ›Wann war das?‹, brüllt er. Seine Stimme hat er ja nun wieder … Und dann … Ich habe es in der Küche erzählt. Und dann … am Abend kam schon die Nachricht durch, der Präsi rüste für einegroße Jagdgesellschaft. Nachts im Zirkel hörte ich, er wolle gar nicht jagen im Olviogürtel. Er wolle dorthin, um den Löwen zu sehen, zu feiern. Um ihn zu verehren, ihm zu dienen, was weiß ich … wundere mich noch darüber, wir alle sind ganz verblüfft und ganz durcheinander, wir müssen diskutieren, lang und breit, aber zu mehr haben wir keine Zeit. Als ich zu meinem Domus komme, haben Einheiten der Ci-Po das Haus umstellt, und ich weiß, was es geschlagen hat … für mich … für uns alle.«
    »Wo haben sie diesen Löwen angeblich gesehen?«, frage ich ganz ruhig.
    »Im Wüstengürtel um Olvio«, sagt er. »Da ist doch diese Ausgrabungsstätte. Da suchen sie doch nach dem großen Palast der Ahnen. Das geht jetzt schon seit Jahren. Sie haben auch was gefunden. Das war doch auch dort, wo sie den Löwenmenschen gefangen haben. Da gibt’s offenbar noch Löwen.«
    »Wo ist dieser Löwenmann?«, frage ich und stehe auf.
    »Das weiß keine Sau«, sagt Ubu und schließt die Augen. »Tot, nehme ich an. Was sagen Sie?«
    Ich lächle und frage mich, ob er keine Augen im Kopf hat.
    Mathilde fängt mich an der Tür ab, sicher hat sie gelauscht, das Ohr am Türblatt. Ich betrachte sie streng.
    »Was redet unser Patient eigentlich mit euch, was sagt er über das, was hier so vor sich geht? Was sagt er?«
    »Er sagt, du wärst eine Herrscherin«, sagt Mathilde verlegen.
    »Und von Mingus? Hat er was von Mingus gesagt?«, frage ich.
    »Er sagt, wann kommt der Medizinmann wieder, der Heiler, der mit der Tiermaske.«
    Der erste Frühlingsregen fällt, und ich ziehe die Kapuze vom Kopf und lasse ihn auf mein Haar prasseln, auf meinen Nacken.
    Der Präsi will zum Olviogürtel. Da werden wir ihn schnappen. Da werden wir ihn erlegen. Ich weiß noch nicht genau, wie. Wir müssen uns beeilen.

NIN
    Der Tag der Lenzsonne. Waffenstillstand im Ashram. Nur für diesen einen Tag. Sie wollen verhandeln. Die Kinder und die Mütter hat man, mit Primeln bekränzt, auf den jährlichen Lenzgang in die nahen Hügel geschickt. Viele sind es nicht, die da losmarschieren. Tara kocht für alle anderen die heilige Kichererbsensuppe. Traditionell für diesen Tag.
    »Kichererbsen. Lauter kleine Sonnen«, sagt Neila.
    Noch liege ich im Bett, denn es wird gerade hell. Gleich muss ich in die Küche. Ich habe von Mingus geträumt. Er rennt brüllend über eine Wiese, mit einem Gesicht wie ein Dämon, mit im Wind hoch aufgerichteter Mähne. Ob seine Mähne gewachsen ist? Kein schöner Traum. Trotzdem schließe ich noch mal die Augen und sehe ihn laufen, in großen Sprüngen über die Wiese, versuche, den Ausdruck in seinem Gesicht zu ergründen. Frage mich, was ich fühle, im Traum. Ich fühle Angst. Ich fühle Sehnsucht und Angst. Er ist so fremd, dieser Mingus in meinem Traum. Ich habe Lust zu weinen, aber das erlaube ich mir nicht und schlage die Wolldecken zurück.
    Daisy ist schon fertig und zeigt mir die blauen Wimpel, die sie in die Bäume hängen soll. »Auf !«, sagt sie und macht das Katzengesicht, das sie immer macht, um mich zu necken. »In die Küche mir dir! Suppe kochen! Die Männerwerden auch Suppe bekommen. Sie sind ausgehungert und brüllen seit dem Morgengrauen.«
    Und wirklich, ich höre sie brüllen. Leiser allerdings als gewohnt. Die armen Kerle haben großen Hunger. Ich lache.
    Tara ist schon in der Küche, und sie sieht aus, als habe sie gut geschlafen.
    »Das Gemüse«, sagt sie, und ich mache mich daran, die riesigen Berge von Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln und Lauch klein zu schneiden.
    »Die Feier ist um Punkt zwölf«, sagt Tara, aber das weiß ich ja. »Alle brauchen eine große Portion. Die Näpfe müssen gezählt werden. Sind die Löffel sauber?«
    Ich wundere mich über Tara. Sie ist wie ausgewechselt. Sie macht viel Lärm mit Töpfen und Pfannen.

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