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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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genetische Erbgut von einem Mensch und einem Tier mischt und daraus ein neues Wesen erschafft. Wollte er sein Wissen weitergeben an zukünftige Generationen, wie Tara behauptet? Ein Wohltäter der Menschheit? Tara ist sich da bombensicher. Sie kenne ihn, sagt sie. Er habe die Menschen so geliebt und sei eine Art Märtyrer, der für seine Hingabe nichts als Hass und Verfolgung geerntet habe. Ein Opfer von Neid und Missgunst. Ein Opfer des Regimes. Tara hatte Tränen in den Augen, als sie von ihm sprach. So habe ich sie noch nie gesehen. »Seine Forschung war sein Leben«, sagt Tara. »Er hat seine Aufzeichnungen gut verborgen, damit sie nicht in die falschen Hände geraten.« Wir könnten neues Leben erschaffen wie eine Göttin. Ich will ihr glauben.
    Die Libellen sind von unseren Kriegerinnen besetzt und unerreichbar. Wir haben den alten Chopper, der jahrelang nur für kurze Kontrollflüge über die Felder benutzt wurde. Er ist klein. Zwei Leute passen hinein. Er könnte starten, während wir die Kriegerinnen beschäftigen. Vielleicht mit einem verfrühten Feuerwerk zur Lenzfeier oder Ähnlichem. Sie dürfen keinen Wind kriegen von der Aktion. Eine Libelle ist so viel schneller als ein Chopper.
    Sophie kriecht zurück an meine Seite und legt die Hand auf die meine.
    »Neila, siehst du das?«, flüstert sie. Ja, ich sehe es. Der Mond hat die Sturmwolken zerteilt, und sein weiches Licht fällt auf das Gesicht der Großen Mutter.
    »Sie lächelt«, flüstert Sophie. »Alles wird gut.«
    Ich sehe kein Lächeln, aber ich nicke und umarme Sophie.
    Die Große Mutter will, dass wir das Gold holen.
    »Leg dich jetzt hin, Neila«, sagt Sophie. »Du bist ja nur noch ein Schatten deiner selbst.« Sie umarmt Carla und Rieke. »Habt ihr’s gesehen?«
    »Und, was machen wir jetzt?«, fragt Carla, die Pragmatikerin. Rieke, das sehe ich, will nur in ihr warmes Bett und rafft ihre Wollumhänge zusammen.
    »Morgen, Schwestern«, sage ich. Fast frage ich, ob sie einen Becher von unserem Apfelschnaps wollen. Aber das macht einen schlechten Eindruck.
    In dieser Nacht schlafe ich nicht. Dieser Plan taugt nichts. Es wird nichts draus.
    Ich muss es mir aus dem Kopf schlagen.

AGLAIA
    »Asyl bei uns.« Das verspreche ich dem kleinen braunen Mann. Ubu. Er will wissen, ob wir auch andere Mitglieder seines Zirkels hier aufnehmen würden.
    »Ich spreche mit dem Rat«, sage ich ausweichend. Diese Stadtläufer sind mir nicht geheuer. Wir werden sehen. Ich höre mir noch einmal alles an. Das Ende des Chefläufers. Die hastige Auflösung des Kreises. Die lange leidvolle Flucht. Der Schnee. Die Unwegsamkeit des Weges. Es ist gut, wenn ich ihm so geduldig zuhöre. Er spricht gerne. Es gefällt ihm, alles umständlich auszuschmücken. Ich zeige ihm meine Ungeduld nicht. Und dann kommt eine Geschichte, die mich geradezu elektrisiert.
    »… an dem Tag war ich dran, dem Präsi, lang möge er leben …« Er lächelt, um mir zu zeigen, dass er das aus Gewohnheit herunterleiert und noch nicht lassen kann. Ich räuspere mich. »Ich serviere ihm das Frühstück«, sagt er. »Er nimmt jetzt, nach seiner Bekehrung, so nennt er das, nur noch Früchte und Käse. Ja, Käse, nimmt er noch. Es ist Käse aus Rentiermilch. Muss gut schmecken, würzig, das sagt unser Oberkoch, ich selbst habe …«
    »Du bringst ihm das Frühstück?«, sage ich ganz ruhig. »Und …?«
    »Er ist wie immer am Morgen im Achatsalon, liegt auf seinem Flugdivan, senkt sich, um das Tischchen zu erreichen,trägt seine Morgenrobe in Lichtgrün. Parfümiert, gekämmt, gut gelaunt. ›Mach schon‹, sagt er, ohne mich anzusehen, und winkt ungeduldig. Er hat nur Augen für die Übertragung, die gerade reinkommt, starrt auf das Pam, den großen Schirm, oben zwischen den beiden nackten Frauenstatuen aus Achat, diese beiden Schönheiten, die runde Leuchten tragen. Ich schau sie immer gerne an, wenn ich …«
    »Was ist auf dem Schirm?«, frage ich.
    »Da kommt nicht das, was er sonst am Morgen sieht. Fette Männer, die sich gegenseitig in den Schlamm stoßen … diesmal ist es eine Fernübertragung, er hört zu und antwortet auch. Ich stelle das Tablett ab. Da ist das Gesicht von diesem Arzt aus der Klinik. Ich kenne ihn, weil meine Schwester dort …«
    »Wer?«, frage ich. Es klingt etwas zu laut. Er wirft mir einen Blick zu.
    »Dr. Matthäus aus der Mega-Klinik … er sagt gerade ›… ein Löwe, ein biologischer Löwe, er hat einen Archäologen gefressen‹ oder so ähnlich. ›… Die Leute

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