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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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Ausgrabungsstelle, um, wie er sagt, mit Menschen zu sprechen. Mich sieht er nicht mehr als Mensch. Er sagt, er könne meine negative Einstellung immer schwerer aushalten. Er sagt, meine Aggression käme von meiner Krankheit, sei aber dennoch auf Dauer unerträglich für ihn. Er pflegt mich, das ja, aber nun ist er völlig Herr der Lage. Ich kann nichts tun. Gefunden hat er noch nichts. Das würde ich ihm anmerken. Matt war nie ein guter Schauspieler.
    Am Abend höre ich den Flughund landen. Höre, wie er ihn unter der Plane versteckt, höre ihn neben dem Zelt pissen. Höre ihn Feuer machen. Er hat neue Feuerziegel und Fleisch bei den Archäologen gekauft. Als Jäger taugt er nichts.
    Er kommt mit einem dampfenden Napf herein. »Das schicken dir unsere Freunde«, sagt er. »Insektengulasch. Sehr proteinhaltig. Iss!«
    Ich ringe nach Luft. Etwas ist passiert. Ich sehe es ihm an. Er leuchtet geradezu. Er hockt sich neben mein Lager und räuspert sich.
    »Lass uns Tacheles reden, Boris«, sagt er und lächelt verträumt, ja verträumt. Ich hätte Lust, ihm in die Fresse zu schlagen.
    »Der Präsi ist hier. Ich war es, der ihm den Tipp mit dem Löwen gegeben hat. Wenn er eines ist, dieser Präsi, dann ist er dankbar gegenüber Menschen, die ihm einen Dienst erweisen. Ich habe ein volles Konto bei ihm. Verzeih! Wir waren uns an diesem Punkt nie einig. Warte, lass mich ausreden, Boris. Deine Uhr ist abgelaufen, und du weißt das. Ich werde finden, was wir suchen. Ich werde alles bergen. Ich werde es einsetzen zum Wohl … der Menschheit.« Er schaut mich an, ob ich protestiere.
    Ich atme schwer, meine Stimme gehorcht mir nicht, nur ein lächerliches Pfeifen kommt aus meinem Mund. Matt lächelt nachsichtig.
    »Der Präsi, lang möge er leben, ist kurz davor, meine Pläne abzusegnen. Du kennst ihn ja, meinen Traum. Eine Reha-Klinik am Meer. Einsatz von biologischen Heilmitteln. Ein Labor zur Herstellung von Medikamenten unter meinem Namen. Vergnügungsstätten. Brutstation und letztendlich Genforschung. Das kostet. Die Unterlagen dazu sind bald in meiner Hand. Das Gold wird alles finanzieren.«
    Ich stoße den Napf um und gurgle schwach, will mich aufrichten und falle zurück. Matt tupft mütterlich an mir herum.
    »Ganz ruhig«, sagt er. »Ich bin noch nicht fertig. Unser Präsi ist verrückt geworden, ja, es ist eine Art partieller Wahnsinn, religiöser Wahnsinn, der sich aber nur auf dem spirituellen Sektor austobt, der Rest von ihm ist bei klarem Verstand. Auch dieser Wahn wird vorübergehen, so wie all seine irrsinnigen Anfälle bis jetzt vorübergingen. Erinnerst du dich noch an die Haremsgeschichte? Die Zeit der großen Vernichtung aller Technik? Ganz ruhig, Boris, du machstdich doch fertig mit dem Gezappel. Ich, ich habe sie gefunden, seine Kultstätte, hier ganz in der Nähe, mitten im Wald auf einer Lichtung. Ein Löwe aus Gold, ja, ganz aus Gold, mitten auf der Wiese. Arthur hat ihn gemacht, dieser Aristo, den unser Präsi jahrelang unter Verschluss gehalten hat. ›Kunst ist tödlich‹, das war ja damals seine Parole. Erinnerst du dich? Auch so ein Irrsinn, der sich totlief. Du erinnerst dich, Boris? Gut, also, da ist dieser Löwe, ziemlich groß ist er, gut gearbeitet, ein goldener Löwe, vor dem unser Präsi kniet und Abbitte tut, den gemetzelten, ausgerotteten Tieren Abbitte tut. Er bringt dort Opfer. Jeden Tag. Er opfert Menschen.« Matt betrachtet mich unter gehobenen Brauen. »Ja, auch ich musste erst mal schlucken, als die Archäologen mir das erzählten. Sie sind sehr beunruhigt. Wenn die eingeflogenen Verbrecher – es sind alles verurteilte Verbrecher, heißt es – aufgebraucht sind, wer weiß, wer dann dran ist. Der Löwengott ist noch keineswegs besänftigt, höre ich. Der Präsi schreibt jeden Tag eine lange Ode auf ihn. Die wird in Megacity am Avatar übertragen. Anwesenheitspflicht für alle. Die Ci-Po greift durch.«
    Matt lacht, nein, er kichert. »Der Präsi«, sagt er kopfschüttelnd. »Ich habe eine Audienz bei ihm. Schon bald. Und, Boris, ich denke daran, dich anzubieten, ihm dich als Opfer anzubieten. Das wäre doch ein schneller, gnädiger Tod, und du wärst zu was nütze. Ehe sie den netten Metallurgen von der Grabungsstätte metzgern oder die nette rothaarige Frau. Diese Zaz. Das willst du doch auch nicht?«
    Damit steht er auf und geht aus dem Zelt. Ich bleibe liegen. Was bleibt mir sonst auch übrig.

TARA
    Wir landen nachts an einem Flussufer am Rand dieses Riesenwaldes. Wir haben ihn

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