Mingus
überflogen, immer wieder, stundenlang, und kein Leben in ihm gefunden. Nin kennt den Wald, also einen Zipfel des Waldes. Sie sagt, sie war hier mit Mingus auf ihrer Wanderung zurück zur Zivilisation. Die armen Kinder.
Ich schlafe schlecht auf unseren Matten. Am Morgen tut mir alles weh. Nin ist schon aufgestanden und unterwegs. Ich trinke Wasser und esse von dem harten Brot aus dem Ashram. Wir wollen zu Fuß nach Leos Lager suchen. Noch wagen wir nicht, bei Tag herumzufliegen, noch wissen wir nicht, was sich hier alles verbirgt. Zu Fuß! Ich weiß nicht, wie lange ich marschieren kann. Ich habe langes Laufen schon immer gehasst. Nin will nach den Resten von Leos zerstörtem Labor suchen. Das Gold und die Papiere sind ihr nicht wichtig. Mir schon. Sie will an den Ort ihrer Gefangenschaft und ihres Leidens zurückkehren, um, wie sie sagt, dieses Kapitel endlich abzuschließen. Ich weiß gar nicht, ob ihr das guttun wird. Nachher bricht sie mir zusammen, und wir sitzen hier ganz allein mitten in der Wildnis. Kein schöner Gedanke.
Nin kommt am Nachmittag ganz aufgeregt zurück.
»Ich habe einen goldenen Löwen entdeckt, mitten imWald. Ich bin nicht näher rangegangen, denn da lagen irgendwelche Körper im Gras, wahrscheinlich Kadaver. Die haben fürchterlich gestunken. Da saßen ganz viele Vögel drauf. Das waren verwesende Tiere oder so was. Ich weiß, wie so was riecht. In Megacity habe ich das gerochen. Grässlich! Hab’s immer noch in der Nase. Jetzt noch. Trotzdem, wir müssen hin und beobachten, was da passiert. Du musst mit. Ich kann das nicht alleine. Mir graust es zu sehr.«
»Das ist gefährlich«, sage ich, aber meine Neugier ist wach gekitzelt.
»Ach, komm schon, ich kenne dich doch. Du hast vor gar nichts Angst, Tara!«
Soll ich sie enttäuschen?
ALAN
Zurückgelassen hat er mich hier, und ich weiß, das war gut so, trotzdem bin ich gekränkt.
Die Tage vergehen, ohne dass irgendetwas passiert. Die Aussaat ist vorbei, die Kälber sind geboren, der Fischfang läuft prächtig. Die Muschelbänke werden gereinigt. Frieder hat jetzt das Sagen, und er macht es gut. Abends lässt er sich volllaufen. Abends hocken wir wie immer bei Luis und Baro, Mingus fehlt uns allen, und Zoe sagt: »Sie wird ihn umbringen mit ihrer Raserei. Sie wird ihn losschicken, um den Präsi zu töten. Das kann doch keiner. Denkt nur an all diese Robos. Was soll er gegen diese Maschinen ausrichten? Nein, wir hätten das verhindern sollen.«
»Der lässt sich nicht so einfach losschicken, Zoe«, sage ich. »Ich kenne ihn. Er ist dickköpfig und hat keine Lust …«
»Was ist nun mit dem Rechner?«, unterbricht mich Becky. Sie kümmert sich jetzt um Ubu, reibt seine erfrorenen Zehen mit Talg ein und hat ihm einen schönen Umhang genäht.
Ubu lächelt. »So ein Programm, wie Aglaia sagt, gibt’s nicht. Glaubt mir. Ich wüsste davon, oder?«
Aber keiner hört ihm zu.
»Wir sind kurz vor dem Durchbruch«, sagt Baro.
Balthasar lacht. »Gebt doch zu, dass keiner von uns hier die Welt retten will«, sagt er. »Es geht uns doch gut hier. Wollt ihr zurück nach Megacity? Ich nicht.«
»Aglaia bringt uns alle in Gefahr.« Mathilde ist heute dabei, um sich den Tanzfilm anzusehen. Sie und Irina haben, als sie noch jung waren, Ballett getanzt. Man sieht es ihnen nicht mehr an.
»Mir würde es warm ums Herz, wenn sie das geklonte Schwein abstechen würden«, lässt sich Irina unerwartet vernehmen. »Unseren berühmten Ballerin, weißt du noch, Tildi? Den göttlichen Valentino, den hat er damals in seinen Kellern verhungern lassen.«
»Wach auf !«, sagt Zoe. »Wir werden Aglaia nie wiedersehen. Und dann werden sie hierherkommen und uns alle abmurksen.«
Frieder legt den Arm um sie. »Zoe, noch leben wir«, sagt er undeutlich.
»Da!«, ruft Mathilde. »Schaut doch! Wie heißt er noch, dieser lange dünne Zaubertänzer, seht euch das an. Ein tanzender Gott! Nein, ist das wunderschön!«
Wir schauen zu, wir alle schauen schweigend zu, man hört nur die Musik und das Bersten der Nüsse, die Baro uns hingestellt hat, und natürlich die Jubelrufe unserer beiden Ballerinen. Aber ach, was für eine wunderbare Musik!
»Wir sind kurz davor, Kinder!«, sagt Luis. »Wir sind kurz davor …«
Aber das sagt er schon seit vielen Wochen. Ubu lacht schallend.
»Er war doch unser Mingus«, sagt Elsa, Beckys Tochter. »Sie hat ihn uns weggenommen, einfach so.« Und sie fängt an zu weinen. »Das ist gemein.«
»Aglaia ist eine tolle Frau«, sagt
Weitere Kostenlose Bücher