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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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angeblich machten die das in der Vorzeit, schade, dass es keine großen Tiere mehr gibt. Ich habe auf Gonzos Naturprogramm viel darüber gesehen. Ich war immer ganz neidisch. Ich weiß, wie schön das ist, monatelang zu schlafen, wenn draußen der Schnee liegt. Ich hätte gerne Mingus so neben mir, den ganzen langen kalten Winter, denn diese Tiere schlafen aneinandergekuschelt in ihrer Höhle. Ich erinnere mich: braune Bären schlafen, Igel und, ich glaube, auch große gestreifte Katzen. Nein, stimmt nicht, Frösche schlafen oder fallen in eine todesähnliche Starre. Ich hätte Lust, die Tiere zu zeichnen, alle, jetzt sofort, aus dem Kopf. Vielleicht vergesse ich sonst ganz, wie sie aussehen. Ohne Gonzo bin ich darauf angewiesen, mir alles selber zu merken, was ich weiß und was ich gesehen habe. »Eine gute Übung«, sagt Tara. Sie schnarcht neben mir, ganz wie eine Braunbärin sicher geschnarcht hätte. Vor vielen Jahren. Wie traurig das ist.
    Ich muss los. Es hält mich nichts mehr auf dieser Matte. Ich habe nichts, um Tara eine Botschaft zu schreiben. Ichbaue vor dem Zelteingang ein kleines Männchen aus unseren Näpfen, Gabeln und ein paar Erdklumpen. Der Mond ist fast voll und scheint durch die Zweige auf unser Zelt. Sie wird schon verstehen, was das Männchen bedeutet. Ich hänge ihm mein Armband um den Hals und lasse es mit einem Stöckchen als Arm in die Richtung zeigen, in die ich gehen werde. Zu der Wiese, zu der schrecklich grausigen Wiese, auf der die toten Tiere liegen, dort, wo der Löwe steht. Er muss toll aussehen im Mondlicht. Ich werde dort warten, bis es hell wird. Ich werde auf einen Baum klettern, das kann Tara sowieso nicht so gut. Ich muss herausfinden, was dort vor sich geht.
    Als es hell wird, höre ich Robos im Wald. Sie bewegen sich zwischen den Bäumen. Nicht da, wo ich bin, nein, jenseits der Wiese. Ich sehe sie nicht, aber ich höre dieses leise Klicken und Klappern bis hierherauf. Man kann Robos nicht geräuschlos durch einen Wald laufen lassen. Sie stoßen gegeneinander und gegen die Bäume. Sie kippen auch mal um auf dem unebenen Boden. Ihre Sicht ist schlecht in der Dämmerung. Ich habe kein bisschen Angst.
    Lange herrscht völlige Stille. Tau fällt auf mich von den Blättern über mir. Die ersten Vögel singen. Die ersten Insekten fangen an zu zirpen. Ganz leise. Lauter sind die Stimmen der hässlichen großen Vögel. Seit dem Morgengrauen klumpen sie sich im trockenen Gras zusammen. Ich schaue durch mein Glas. Im Wald und am Waldrand drüben ist nichts zu sehen. Kein Robo zeigt sich. Vielleicht habe ich mich getäuscht.
    Und jetzt die Sonne, sie kriecht über die Baumkronen.Der Löwe hebt sich langsam, langsam ins Licht. Ich bin noch so müde, und es ist wie ein Traum. Der Löwe badet im ersten Licht, die Wiese glitzert. Es tut sich was, ich hebe mein Glas an die Augen. Aus dem Dunkel des Waldrands schiebt sich eine massige Gestalt. Unförmig, mit schweren, langsamen Schritten. Ich kenne diesen Umriss. Ich finde das Gesicht mit meinem Glas. Es ist der Präsi. Ja, er ist es. Jetzt tritt er hinaus ins erste Sonnenlicht. Er trägt eine goldene Rüstung. Sein Helm hat zwei aufgerichtete Ohren. Seine Arme hängen herab und tragen unförmige, mit Krallen bestückte Metall-Handschuhe. Er hat sogar einen Schwanz, der schwer hinter ihm her durchs nasse Gras schleift. Ich will lachen, aber ich kann nicht lachen, eine Vorahnung von Schrecklichem schnürt mir dir Kehle zu. Ich warte zitternd. Es ist kalt hier im Geäst, aber ich zittere nicht vor Kälte. Ich habe plötzlich Angst, loszulassen und herunterzufallen, so als hätte er die Kraft, mich aus dem Baum zu schütteln wie eine kleine Birne.
    Die Robos, endlich kann ich sie sehen. Zwei davon. Zwischen sich schleifen sie einen Menschen durch Gras. Einen Mann in weißer Tunika. Wahrhaftig, er trägt einen Kranz aus grünen Blättern auf dem Kopf. Sein Gesicht sehe ich nicht.
    Der Präsi kniet vor dem Löwen, hebt die Hände zu ihm auf wie im Gebet. Er senkt den Kopf. Schlägt an seine Brust, aber ich höre keinen Ton. Der Mann zwischen den Robos zappelt und schreit. Das höre ich. Es sind raue, hässliche Laute, die mir das Blut gerinnen lassen.
    Der Präsi winkt, und die Robos schleifen den Mann zum Sockel, auf dem der Löwe steht. Sie halten ihn nieder. DerPräsi richtet sich auf, hebt noch einmal den Kopf, schaut hinauf und schlägt mit zwei raschen Armschwüngen seine Krallen in den Körper des Mannes. Einmal, zweimal, dreimal, rasch

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