Minus 0: Märchen-Thriller (German Edition)
Marian, der wie ein Häufchen Elend auf dem steinern Boden lag. Umso erschrockener war sie, als sie Marians durchlöcherte Hand sah.
„Du blutest!“, schrie sie. „Komm her, wir müssen das behandeln.“
Auf allen vieren kroch Marian zu ihr. Lüc riss sich ein Stück ihrer Bluse ab und wickelte das Stück Stoff um seine blutende Hand.
„Glatter Durchschuss. Wirst du überstehen.“
„Ich habe es vermasselt. Es tut mir so Leid. Wir sind am Ende.“
„Pssscht. Ruh dich aus, die Schmerzen werden vergehen. Dann schauen wir weiter“, tröstete seine Traumfrau.
Sie presste mit ihrer einen Hand das Stück Stoff auf seine Wunde. Als ihr kleiner Finger seinen Daumen streifte, fing er wieder an zu lächeln.
19
Von seinem heimlichen Konkurrenten Marian wusste Zack nichts, als er mit einem Foto von Lüc den Schotterweg abging. Jeden Passanten, den er nach dem Verbleib von Lüc fragen mochte, lief vor lauter Furcht vor Zack weg, ehe er den Mund aufmachen konnte. Am Dorfigel traf er auf Frederick und Löckchen, die seinen Weg kreuzten. Seltsamerweise trug Löckchen Frederick auf seinen Schultern, unter dessen Gewicht der arme Junge vorm zusammenbrechen schien.
Zack blieb vor dem seltsamen Duo stehen und fragte nur: „Warum?“
Frederick setzte, zu Löckchens Erleichterung, von seinen Schultern ab und sagte: „Seit Frau Hart tot ist, werden die Kinder nur noch durch ehrenamtliche Lehrer wie mir und meinen Assistenten Löckchen unterrichtet.“
Die Antwort beantwortete Zack noch nicht die Frage, warum Löckchen Frederick auf seinen Schultern tragen musste, aber nach einer Schweigeminute rückte der Muskelberg mit der Sprache heraus: „Ich war etwas geschafft von dem Unterricht.“
„Was genau wolltet IHR den Kindern beibringen?“, fragte Zack skeptisch.
„Sachkunde“, tönte Frederick.
„Er erzählte hauptsächlich wie er Frau Hart zu Lebzeiten noch durchnahm“, petzte Löckchen.
„WIR HABEN UNS GELIEBT!“, schrie Frederick. „Tag und Nacht. Im Sommer oder Winter. Im Feld, ob Sonne oder Regen.“
„Die Kinder fingen schnell an zu weinen...“
Frederick unterbrach: „Aber wir konnten acht „BLEIB STARCK“-Taschentüchter an den Mann bringen.“
„Besser als George Power. Er gab gestern Kunstunterricht.“
„Die Kinder sollten ihn nackt malen.“
„Nachdem sie ihm einen Eimer Ochsenblut überschütteten.“
Frederick schmunzelte. „Verrückter Kerl.“
Ohne näher auf das Gespräch einzugehen lenkte Zack ab. „Habt ihr Lüc gesehen?“
Beide schlackerten mit den Köpfen.
„Entschuldigung?“ Von der Seite schlich sich Gretel, die älteste Frau Blutwäldchens an. „Wisst ihr wo mein Sohn steckt?“
In ihren faltigen Händen hielt sie ein Foto von Marian.
„Du hast ein Kind?“, fragte Frederick. „Bist du nicht zu alt?“
„Sei nicht so gemein, Frederick.“ ermahnte Löckchen.
„Er ist nicht mein leiblicher Sohn...“ Gretel schüttelte den Kopf. „Ich bin seine Erzieherin, aber das ist wohl auch der Grund, warum er weggelaufen ist.“
Er ist ebenfalls verschwunden?, überlegte Zack Kann kein Zufall sein.
Gretel führte fort: „Seine Eltern waren gestorben als er noch ein Baby war. Keiner wollte sich seiner annehmen, da er schon als Baby etwas verstörendes im Blick hatte. Aber er war so süß. Ich musste ihn aufnehmen. Aber ich war zu alt...“
„Was wohl aus mir geworden wäre, wenn mich meine Oma erzogen hätte?“, fragte sich Frederick. „Vielleicht wüsste ich dann mehr über den Krieg? Oder vielleicht, wäre ich dann doch zu einem Mädchen geworden?“
„Er hat die gleichen Sachen gemocht wie ich, doch dann wurde er älter, genau wie ich. Ich wurde ihm wohl zu altmodisch und dann mochte er die Sachen nicht mehr, die ich ihm gekauft habe. Er hat zu sehr auf die anderen Kinder geschaut, statt zu schätzen, was er hatte.“ Die Tränen überkamen Gretel. Mit ihren zittrigen Lederhänden nahm sie aus ihrer Schürze zwei Hälften eines Din-A4-Papiers, die sie wieder aneinander hielt, um den Männern ein Wachsmalbild von einer Waldlandschaft, mit viel Wiese und einer Hütte präsentierte. In kritzeliger Schrift wurde über das Bild geschrieben: „Für die beste Oma Mama.“
Gretel fing an zu schluchzen. „Das war das schönste, was er mir je geschenkt hatte. Und diese Woche hat er es einfach zerrissen. Ohne Grund.“
„Das tut mir Leid...“, sagte Löckchen. „Ist er vielleicht bei einem Freund?“
„Er hat keine Freunde“, antworte Gretel.
Weitere Kostenlose Bücher