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Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition)

Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition)

Titel: Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Theis
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Selin.
    Sie stampften weiter durch den weichen, feuchten Schnee. Ihre Schuhen waren bereits durchgeweicht, als sie die Hälfte ihrer Route erreichten. Jeder Schritt brachte ihre durchnässten Socken zum auslaufen, sodass der Wasserspiegel in ihren Schuhen anstieg.
    „Die Idee scheint einen wahren Kern zu haben“, seufzte der Kartenspieler. „Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebe. Jahrelang bin ich dem Tod von der Schippe gesprungen, wurde sogar von Willi verschont, obwohl er ausreichend Gründe hatte mich zu töten. Meine gerechte Strafe wird mich ereilen, das ist sicher. Je länger es sich hinauszögert, umso grausamer und vernichtender wird das Urteil ausfallen. Wenn ich ehrlich bin, hoffe ich auf ein baldiges Ende. Meine Zeit ist längst abgelaufen, Selin. All die Zeit, die du in mich investiert, wird sich nicht mehr auszahlen können.“
    „Das Karma ist gerecht“, beruhigte Selin. „Wenn es dich bestrafen wollte, hätte das Karma es während deiner dunklen Zeit getan. Warum sollte es dich heimsuchen, wenn du versuchst Gutes zu tun?“
    Der Kartenspieler blickte in den grauen Himmel und grübelte. „Wir sehen das Karma als das oberste Gesetz der Menschen an, ein gerechtes Urteil für unsere Taten. Sollte das Karma wirklich überparteilich sein, so wird es richten, wie du es vorhersagst. Es würde mich vielleicht verschonen, so lange ich auf meinem gerechten Weg bleibe.“ Der Kartenspieler hielt für einen Moment inne. „Doch was ist, wenn dieses Gesetz, dieses Urteil, das uns seit unserer Entstehung überwacht und das Gleichgewicht dieser Welt hält - was wäre, wenn es ebenfalls menschliche Züge angenommen hätte? Was wäre, wenn Karma nicht mehr das Urteil, sondern der Richter ist? Hat das Karma gelernt, die Gerechten zu lieben und die Ungerechten zu hassen? Wenn das Karma, die innere Stimme aller Menschen ist, das gemeine Volk, das gemeinschaftlich nach dem Tod des Kartenspielers giert, so würde es mich doch angreifen, wenn ich am verletzlichsten bin.“
    Selin nickte. „Vielleicht hast du Recht und das Karma urteilt mit den Eigenschaft eines Menschen. Doch ich bin auch ein Mensch und ich will dich nicht zum Schafott führen.“
    „Leider bist du nur ein Teil des großen Ganzen“, sprach der Kartenspieler. „Auf einhundert Menschen kommt höchstens ein emphatischer Mensch wie du. Wenn Karma die Summe aller Seelen ist, so wird das Urteil nicht mild ausfallen.“
    „Ich hoffe das Karma wird dann wenigstens Mitleid mit mir haben und mir keinen geliebten Menschen entreißen“, sagte Selin und hakte sich bei dem Kartenspieler ein.
    Der Kartenspieler vergaß in diesem einen Moment seine neu gewonnene Angst vor dem Tod und spazierte mit Selin den schmalen Waldweg entlang.
    „Sag mal, Jack, warum hast du immer noch diese Messer bei dir?“, fragte Selin plötzlich.
    „Meine Messer?“
    „Du hattest sie gestern gezückt, als mich der Taschendieb überfallen wollte“, sagte Selin. „Warum führst du sie immer noch mit dir?“
    Der Kartenspieler zuckte mit den Schultern. „Zum einen Teil ist es die Macht der Gewohnheit, zum anderen Teil gehören sie immer noch zu mir. All die Zeit hatte ich über meine Gefühle keine Kontrolle, aber die Messer beherrschte ich wie kein zweiter. Es tut gut, wenigstens etwas kontrollieren zu können und seien es nur diese Schneiden aus Stahl.“
    „Vielleicht solltest du sie wegwerfen oder verschließen“, schlug Selin vor. „Vielleicht wäre es am besten, wenn du nicht mehr in Versuchung kommst... du weißt schon.“
    Sie zwinkerte ihm zu und sprang über eine verschneite Wurzel. „Lass uns über diese Abkürzung umkehren“, sagte sie. „Wir sollten wieder nach Hause spazieren.“
    Während Selin über den verwurzelten Weg ging, blieb der Kartenspieler noch einen Moment stehen. Er tastete die unzähligen Messer in seinem Mantel ab, die er sicherheitshalber immer noch bei sich trug. Seiner Meinung nach hatten sie ausgedient. Mit diesen blutigen Klingen hatte er so manchen Kampf gewonnen, einige verloren, doch er kam immer wieder mit seinem Leben davon. Dieser Teil seines Lebens sollte nun für immer Geschichte sein. Er würde noch heute seine Klingen in ein Feuer werfen und einschmelzen lassen, seinen Mantel und Hut gleich hinterher. Seine langen Haare würde er abschneiden, seinen Bart abrasieren. Er würde ein vollkommener neuer Mensch werden, zumindest äußerlich. Der innere Kampf würde noch andauern, aber seine Heilung hätte bereits

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