Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition)
begonnen.
Selin war vielleicht nicht die Medizin gegen seinen Zorn, aber sicherlich die Person, die ihm den Weg zum Medizinschrank wies.
Er sah Selin hinterher, wie sie zwischen den kahlen Bäumen auf ihn wartete. Sie sah so unschuldig aus wie die einzige Blume in einer vereisten Landschaft. Ihre Haare trugen die strahlendste Farbe an jenem grauen Wintertag, ihre braune Haut war der angenehme Kontrast zu der weißen Natur. Sie sah ihn liebevoll an und winkte ihn herbei.
Was auch immer das Karma mit ihm anstellen wollte, diesen Moment konnte ihm nicht mehr genommen werden. Nach all den Strapazen, den Jahren des Hasses, wurde ihm ein Moment des inneren Frieden geschenkt. Das Karma hatte die Barmherzigkeit mit der Bestrafung zu warten, bis er dieses Glücksgefühl erleben konnte. Selbst dem Kartenspieler war es gewährt für einen Moment glücklich zu sein.
Als hätte er dieses Moment des Glücks mit einem Pakt erkauft, kam nun die vertragliche Gegenseite zum Zug. Wie er innerlich befürchtet hatte, ließ die Bestrafung nicht mehr länger auf sich warten. Aus der Ferne des Waldes hallte ein klappriges Motorengeräusch durch die Gegend. Es näherte sich ein alter Karren, der mit Vollgas über den vereisten Waldweg schlitterte.
Wie angewurzelt blieb der Kartenspieler stehen und beobachtete, wie sein Ende auf ihn zukam. Anfangs machte er vorsichtig einen Ausweichschritt nach rechts, doch sogleich änderte sich dementsprechend die Rutschbahn des Karrens. Es konnte kein Zufall sein, dass er in diesem verlassen Teil des Waldes, ein Fahrzeug sah, das unweigerlich auf ihn zuraste. Wie erhofft konnte er endlich loslassen. Der Karren würde ihn überrollen, einige Meter mitschleifen und seine Seele aus diesem schuldbefleckten Körper stoßen. Es hätte ihn weitaus schlimmer treffen können.
Die Bremsen des Wagens quietschten so laut wie eine Alarmsirene.
Wie vereinbart blieb der Kartenspieler stehen und wartete auf sein gerechtes Urteil. Nur noch ein allerletzter Blick zu Selin und er wäre bereit. Er suchte sie verzweifelt zwischen den kahlen Bäumen, sah sich hilflos um, bis er sie zu seinem Erschrecken neben ihm stehen sah. Der Karren war keine zwei Augenblicke mehr von ihnen entfernt. Selins Hände prallten mit ihrer ganzen Kraft gegen die Brust des Kartenspielers, brachte ihn ins Taumeln, ehe er rückwärts über die Wurzel eines Ahornbaumes fiel. Der Kartenspieler streckte seine Hand nach ihr aus, schaffte es aber nicht mehr die zärtlichen Hände zu berühren, die ihn gerade noch hinter den Schutz eines Baumes schubsten.
Er sah ein letztes Mal das für ihn wunderschönste Lächeln der Welt.
Die Breitseite des Karrens prallte mit voller Wucht gegen den stämmigen Baum, hinter dem der Kartenspieler in Sicherheit geborgen war. Aufgrund der Wucht des Aufpralls, rotierte die Hinterseite nach vorne, wobei das rechte Vorderrat Selin mitriss und mit sich schleifte, bis der Wagen bei einem frontalen Aufprall mit einem anderen Baum zum Stehen kam.
Schockiert raffte sich der Kartenspieler auf und lief zum Wagen. Die Blutspur, die im Schnee hinterlassen wurde, ähnelte den Spritzern her einem riesigen Schmetterling. Selins Beine ragte unter dem alten Karren heraus, während das Vorderrad ihren Körper beerdigt hatte.
Der Kartenspieler fiel in den Schnee und betrachtete die Katastrophe. Nachdem der Motor abgestellt wurde, gingen beide Wagentüren auf und zwei Gestalten krabbelten aus dem Wrack.
„Mein guter Leutnant, bist du verletzt?“
„Mir ist nichts passiert. Es ist ein Wunder! Wir haben keinen Kratzer abbekommen!“
Der Kartenspieler traute seinen Augen nicht.
Scar deutete auf Selins Leiche unter dem Karren. „Heilige Scheiße! Mein guter Leutnant, wir hätten das Glatteis nicht unterschätzen sollen!“
„Scar! Mir scheint es, als hätten wir ein größeres Problem!“
Parallel blickten beide zu dem zornigen Kartenspieler, der im Schnee stand.
„Du lebst? Hat dich Willi nicht getötet?“, fragte Scar. „Was ist mit deinem Gesicht passiert? Seit wann hast du diese Narben im Gesicht?“
„Scar!“ Der Leutnant zückte seinen Revolver. „Ich glaube die Frau gehört zu dem Kartenspieler!“
„Jetzt hat er ein Grund mehr uns umzubringen“, seufzte Scar. „Wir sollten ihn erledigen, bevor...“
Eine zeitlang konnte der Kartenspieler Selins Leiche ausblenden. Ehe die Trauer ihn übermannen konnte, erwachte der verschollene Zorn in seinem Körper.
Ein Messer zischte durch die Luft und durchbohrte die
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