Mio, mein Mio
vor ihm niederfallen.
»Oh … oh … oh«, jammerte er. »Sei still! Sei still! Geht wieder dorthin, woher ihr gekommen seid. Geht, bevor es zu spät ist, sage ich.«
»Ich kehre nicht um«, sagte ich. »Ich bin gekommen, um gegen Ritter Kato zu kämpfen.«
»Schsch«, sagte der Greis und sah ganz verstört aus.
»Sei still, habe ich gesagt. Die Späher können dich hören. Vielleicht lauern sie draußen – gerade jetzt.« Er kroch zur Tür und horchte ängstlich. »Keiner zu hören«, sagte er. »Kann aber doch da sein. Kann hier sein, kann dort sein, überall. Späher überüberall.«
»Ritter Katos Späher?« fragte ich. »Sei still, Junge«, flüsterte der Greis. »Willst du dein junges Leben so gern verlieren? Kannst du nicht schweigen?« Er setzte sich auf den Stuhl und nickte vor sich hin. »Ja, ja«, sagte er so leise, daß es kaum zu hören war. »Seine Späher sind überall. Am Morgen und am Abend und in der Nacht. Immer und überall.« Er streckte die Hand aus und zog mich nahe an sich heran.
»Um meiner Hungertage willen«, flüsterte er. »Traue keinem! Du gehst in ein Haus hinein … du denkst, du bist unter Freunden. Sie verraten dich. Sie liefern dich ihm aus, ihm, der auf der anderen Seite des Sees wohnt. Traue niemandem, sage ich. Traue mir nicht! Woher weißt du, daß ich dir nicht Späher nachschicke, sobald du gegangen bist?«
»Ich glaube nicht, daß du das tust«, sagte ich. »Niemand kann sicher sein«, flüsterte der Greis. »Du kannst niemals sicher sein.« Er saß eine Weile stumm da und dachte nach. »Nein, ich hetze die Späher nicht auf dich«, sagte er. »Noch gibt es einige Menschen in diesem Land, die keine Verräter sind. Und noch gibt es einige, die Waffen schmieden.«
»Wir brauchen eine Waffe«, sagte Jum-Jum. »Mio muß ein Schwert haben.«
Der Greis antwortete nicht. Er ging zum Fenster und öffnete es. Vom See draußen waren die kläglichen Schreie der Vögel zu hören. Es war, als weinten sie in der finsteren Nacht.
»Hör«, sagte der Greis zu mir, »hör, wie sie klagen!
Willst du auch einer werden, der über dem See fliegt und klagt?«
»Was sind das für Vögel?« fragte ich.
»Es sind die verzauberten Vögel«, flüsterte der Greis.
»Sicher weißt du, wer sie verzaubert hat. Sicher weißt du, wer sie geraubt hat. Und nun weißt du auch, wie es dem ergeht, der mit dem Räuber kämpfen will.«
Was er da sagte, machte mich sehr traurig. Diese Vögel – das waren Nonnos Brüder und Jiris Schwester und die kleine Tochter der Weberin und alle die anderen, die Ritter Kato geraubt und verzaubert hatte.
Oh, ich wollte gegen ihn kämpfen – ich wollte es!
»Mio braucht ein Schwert«, sagte Jum-Jum. »Ohne Schwert kann man nicht kämpfen.«
»Du sagtest, daß es einige gibt, die Waffen schmieden«, erinnerte ich den Greis.
Er sah mich beinah böse an.
»Angst um dein junges Leben hast du wohl gar nicht?« sagte er.
»Wo sind sie, die Waffen schmieden?« fragte ich ihn.
»Schweig!« sagte der Greis und schloß schnell das Fenster. »Sei still, die Späher können dich hören.« Er schlich zur Tür und legte sein Ohr an das Holz und horchte.
»Keiner zu hören«, sagte er. »Kann aber doch da sein. Überall Späher.«
Dann beugte er sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Du wirst zum Schwertschmied gehen und ihn von Eno grüßen. Du wirst sagen, daß du ein Schwert brauchst, das durch Stein schneiden kann. Du wirst sagen, daß du ein Ritter aus dem Land der Ferne bist.« Er sah mich lange an. »Du bist doch ein Ritter? Oder nicht?« »Ja«, antwortete Jum-Jum für mich. »Er ist ein Ritter und ein Prinz. Prinz Mio aus dem Land der Ferne. Und er muß ein Schwert haben.« »Wo finde ich den Schwertschmied?« fragte ich. »In der tiefsten Höhle im schwärzesten Berg«, sagte der Greis. »Geh durch den Toten Wald! Geh jetzt!« Er ging zum Fenster und öffnete es. Und vom See her hörte ich wieder die Schreie der Vögel durch die Nacht klagen.
»Geh jetzt, Prinz Mio«, sagte der Greis. »Ich werde mich hierhersetzen und dir Glück wünschen. Aber vielleicht muß ich schon morgen nacht einen neuen Vogel hören, der klagend über dem See fliegt.«
Im Toten Wald
Noch während wir Enos Tür hinter uns schlossen, hörte ich Miramis wiehern. Er wieherte laut und verzweifelt. Es war, als riefe er: »Mio, komm und hilf mir!« Mir blieb vor Angst fast das Herz stehen. »Jum-Jum, was machen sie mit Miramis?« schrie ich. »Hör doch! Was machen sie mit Miramis?«
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