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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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Mondesstrahl, Herzblut rot und warm« vor sich hin und kümmerte sich nicht mehr um Jum-Jum und mich.
    »Jum-Jum«, sagte ich, und meine Stimme klang ganz eigenartig, »Jum-Jum, nun reite ich in das Land Außerhalb.«
    »Ich weiß«, sagte Jum-Jum. Ich war sehr erstaunt.
    »Wie kannst du das wissen?« fragte ich. »Ich selbst weiß es doch erst seit jetzt – eben jetzt.« »Du weißt so wenig, Mio«, sagte Jum-Jum. »Aber du, du weißt alles?« fragte ich.
    »Ja, ich weiß«, sagte Jum-Jum. »Schon lange weiß ich, daß du in das Land Außerhalb sollst. Alle wissen es.« »Alle wissen es?«
    »Ja«, sagte Jum-Jum. »Trauervogel weiß es. Die Weberin hier weiß es. Hundert weiße Pferde wissen es. Der ganze Wald der Dunkelheit weiß es, die Bäume flüstern davon, und das Gras und die Apfelbäume hier draußen, sie alle wissen es.« »Sie wissen es?« fragte ich.
    »Jeder Hirte auf der Insel der grünen Wiesen weiß es, und er spielt es nachts auf seiner Flöte. Nonno weiß es, seine Großmutter weiß es, und Jiri und seine Geschwister und der Brunnen, der am Abend raunt, wissen es. Ich sage dir, sie alle wissen es.« »Und mein Vater, der König …« flüsterte ich. »Dein Vater, der König, hat es allezeit gewußt«, sagte Jum-Jum.
    »Will er, daß ich gehe?« fragte ich, und ich konnte nicht verhindern, daß meine Stimme ein wenig zitterte. »Ja, er will es«, sagte Jum-Jum. »Er ist traurig, aber er will, daß du gehst.«
    »Aber ich habe große Angst«, sagte ich und fing an zu weinen. Jetzt erst merkte ich richtig, wie ich mich fürchtete. Ich ergriff Jum-Jums Arm.
    »Jum-Jum, ich getraue mich nicht«, sagte ich. »Warum will mein Vater, der König, daß gerade ich es tun soll?«
    »Nur ein Kind aus königlichem Blut kann es tun«, sagte Jum-Jum. »Nur ein Kind aus königlichem Blut.«
    »Und wenn es nun mein Tod ist?« sagte ich und packte Jum-Jum ganz fest am Arm. Er antwortete nicht.
    »Will mein Vater, der König, daß ich trotzdem gehe?«
    Die Weberin hatte aufgehört zu weben, und es war ganz still im Haus. Trauervogel schwieg. Die Bäume bewegten ihre Blätter nicht, kein Rauschen war zu hören. Es war vollkommen still. Jum-Jum nickte. »Ja«, sagte er, und er sprach so leise, daß ich es kaum hörte.
    »Dein Vater, der König, will, daß du trotzdem gehst.« Ich war ganz verzweifelt.
    »Ich getraue mich nicht!« schrie ich. »Ich getraue mich nicht! Ich getraue mich nicht!«
    Jum-Jum antwortete nichts. Er sah mich nur an und sagte kein Wort. Aber Trauervogel fing wieder an zu singen, und es war ein Lied, das mein Herz beinah stillstehen ließ.
    »Er singt von meiner kleinen Tochter«, sagte die Weberin, und ihre Tränen fielen auf das Gewebe und wurden zu Perlen.
    Ich ballte die Fäuste.
    »Jum-Jum«, sagte ich, »ich gehe. Ich gehe ins Land Außerhalb.«
    Da drang ein Brausen durch den Wald der Dunkelheit, und Trauervogel sang einen Triller wie nie zuvor. »Ich wußte es«, sagte Jum-Jum. »Leb wohl, Jum-Jum«, sagte ich und spürte, daß ich wieder weinen wollte. »Leb wohl, lieber Jum-Jum.« Da blickte Jum-Jum mich an, und seine Augen waren so freundlich wie Benkas Augen. Dann lächelte er ein wenig. »Ich folge dir«, sagte er.
    Er war mein Freund, Jum-Jum, er war wirklich mein Freund! Ich wurde sehr glücklich, als er sagte, er wolle mir folgen. Aber ich wollte nicht, daß er sich einer Gefahr aussetzte.
    »Nein, Jum-Jum«, sagte ich. »Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen.«
    »Ich folge dir«, sagte Jum-Jum. »Ein Kind aus königlichem Blut, reitend auf einem weißen Pferd mit goldener Mähne, mit einem einzigen Freund als Gefolge – so ist es gesagt worden. Du willst doch nicht ändern, was seit tausend und abertausend Jahren vorausbestimmt ist?«
    »Seit tausend und abertausend Jahren«, sagte die Weberin. »Ich hörte, wie die Winde an dem Abend davon sangen, als ich meine Apfelbäume pflanzte, und das ist nun sehr lange her. Tausend und abertausend Jahre.« Sie nickte.
    »Komm, Mio, ich will deinen Mantel flicken«, sagte sie dann. Sie schnitt ihr Gewebe ab und nahm ein Stück davon und flickte den Riß, den mein Mantel bekommen hatte, als ich durch den Wald ritt. Sie fütterte sogar den ganzen Mantel mit diesem schimmernden Stoff, und er hing leicht und weich und warm über meinen Schultern.
    »Mein bestes Gewebe gebe ich dem, der meine kleine Tochter rettet«, sagte die Weberin. »Und Brot sollst du haben, Brot, das Hunger stillt. Verschwende es nicht. Hungerwege liegen vor

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