Mira und der weiße Drache (German Edition)
schließlich zögernd. »Einen schwarzen und einen weißen.«
Die Hexe sah sie lange an. »Der schwarze Drache birgt die Geheimnisse der schwarzen Zauberer. Wir weißen Zauberer können ihn nicht beschwören. Das ist den schwarzen Zauberern vorbehalten. Allerdings haben sie den Erweckungsspruch vor langer Zeit verloren. Damit gibt es niemanden mehr, der den schwarzen Drachen zu beschwören weiß.«
»Doch«, dachte Mira, »ich weiß es!« Sie starrte ins Feuer und versuchte ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Die Hexe Fa legte noch ein Scheit in den Kamin, bevor sie fortfuhr zu erzählen.
»Als Montignac lebte, begann die Zauberergemeinde sich aufzuspalten in schwarze und weiße Zauberer. Weiße Zauberer arbeiteten mit den Menschen zusammen. Es war eine Zeit der Blüte in Wissenschaft und Kultur. Einige Zauberer waren allerdings auch der Meinung, dass das jahrhundertealte Wissen um die Macht der Magie nicht einfach so mit den Menschen geteilt gehörte. Sie bildeten geheime Zirkel.«
»Und aus diesen Zirkeln kamen dann die schwarzen Zauberer«, schloss Mira. »Genau«, erwiderte die Hexe. »Die schwarzen Zauberer mussten schwören, niemanden in ihre Kreise aufzunehmen und auch niemanden an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Ihnen ging es vor allem darum, mächtig zu sein, andere zu beeinflussen und zu beherrschen.« Die Hexe schwieg und sah in den Kamin, wo ein verglimmendes Holzscheit in sich zusammenstürzte.
»Nun, das haben sie auch geschafft. Heutzutage gibt es viel mehr schwarze als weiße Zauberer. Und alle schwarzen Zauberer sind einflussreich und mächtig. Die weißen Zauberer hingegen wollten keine Macht. Erst zauberten sie aus reinem Vergnügen, dann, um sich das Leben angenehmer zu machen, und schließlich nur noch, um sich in Tiere zu verwandeln.«
Die Hexe Fa starrte bekümmert ins Feuer. »Und manchen hat das so gefallen, dass sie keine Menschen mehr sein wollten und lieber Tiere blieben.«
»Und die schwarzen Zauberer, verwandeln die sich auch?«, fragte Mira neugierig.
Die Hexe schüttelte den Kopf. »Nach ihrem zehnten Lebensjahr können sich schwarze Zauberer nicht mehr verwandeln, es sei denn ...« Ihre Stimme wurde ganz dunkel.
»Es sei denn, sie werden zu Sperbern«, sagte Miranda.
Die Hexe Fa starrte in das Feuer.
»Während die weißen Zauberer sich immer mehr zurückziehen, gelingt es den schwarzen Zauberern, immer mehr Einfluss zu gewinnen. Sie wollen keine weißen Zauberer neben sich haben. Für sie gibt es nur eine Zauberergemeinschaft, und das ist die ihre. Deshalb versuchen sie uns auf ihre Seite zu ziehen. Und wer sich weigert, dem nehmen sie alles. Und so leben so viele von uns in alten baufälligen Häusern oder auf der Straße.«
Sie seufzte. Das Holzscheit knackte im Kamin.
»Aber ...«, überlegte Mira, »... warum hat Montignac zwei Drachen gezeichnet? Er war doch ein mächtiger weißer Zauberer?«
Die alte Hexe schnaubte. »Mein liebes Kind, er war der bedeutendste weiße Zauberer, den wir kennen. Ich weiß nicht, wieso er auch den schwarzen Drachen gezeichnet hat. Ich habe schon oft darüber nachgedacht.«
»Jedenfalls würde uns der weiße Drache helfen, gegen die schwarzen Zauberer zu bestehen«, sagte Miranda. »Sie sind mit der Zeit immer mächtiger geworden und wir verlieren mehr und mehr von unserem Wissen.«
»Das kommt unter anderem auch daher, dass sich die weißen Zauberer nicht mehr anstrengen und nichts mehr lernen wollen«, sagte die Hexe und ihr Blick ruhte auf Miranda. »Es wäre nicht schlecht, wenn einige von uns zumindest lesen könnten.« Miranda betrachtete ausgiebig ihre Fußspitzen. Es war klar, auf wen die Hexe anspielte.
»Für das Buch der Metamorphosen brauche ich nicht lesen zu können«, sagte sie schnell. Die Hexe Fa blickte sie durch ihre Brillengläser streng an. »Hättest du lesen gelernt, würdest du jetzt sicher nicht hier sitzen«, sagte sie. »Und Mira auch nicht.«
Miranda klappte den Mund auf, um zu protestieren, schloss ihn aber nach einem scharfen Blick der Hexe Fa wieder.
Mira schluckte. Da war noch eine, eine wirklich große Frage, die sie beschäftigte. »Was würde passieren, wenn jemand den Spruch für den schwarzen Drachen kennen würde?« Sie versuchte, ihre Stimme ganz beiläufig klingen zu lassen, während ihr Herz wild klopfe. Die Hexe Fa stieß ein kurzes Lachen aus. »Nun, wüsste tatsächlich jemand den Spruch, um den schwarzen Drachen zu erwecken, alle schwarzen Zauberer wären hinter ihm her.« Die Hexe Fa
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