Mira und der weiße Drache (German Edition)
möchten«, sagte Mira. Frau Fingerhut drückte sie überraschend heftig an sich. »Vielen Dank, Mira«, sagte sie, während sie ihren Schirm aufspannte. »Komm nach dem Mittagessen vorbei und dann suchen wir ein Bild aus!«
Mira tauchte zwei Stunden später bei Frau Fingerhut auf und bereute ihr großzügiges Hilfsangebot bereits ein bisschen, als sie drei riesengroße Fotoalben auf dem Wohnzimmertisch liegen sah. »Das sind die Bilder der letzten drei Jahre mit Kantapper«, sagte Frau Fingerhut, als sie Mira eine große Tasse Kakao mit Sahne hinstellte.
Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie eines der drei schweren Alben nahm und die erste Seite aufschlug. Mira zuckte unwillkürlich zurück. Aus dem Bild starrte sie ein großer, dicker Kater mit riesengroßen, hellen, türkisblauen Augen lauernd an. Seine weißen Schnurrhaare bogen sich leicht nach oben. Das Fell war pechschwarz außer einem weißen Dreieck, dessen Spitze am Hals begann und das bis unter die Augen reichte und dem Kater einen hinterlistigen Ausdruck verlieh. Das Seltsamste an der Aufnahme jedoch war, dass Kantapper auf goldbestickten Kissen lag und sich hinter ihm die Tore zu einem indischen Tempel öffneten.
»Ich habe dieses Foto bei einem Fotografen machen lassen«, erzählte Frau Fingerhut träumerisch. »Dieser Hintergrund hat meinem Kantapper am besten gefallen, ich erinnere mich noch gut daran.«
Die nächsten eineinhalb Stunden verbrachte Mira mit dem Anschauen von weiteren Katzenbildern. Kantapper beim Fressen (mit goldenem Fressnapf, wie Mira erstaunt feststellte), Kantapper auf der Mauer neben dem Zaun, Kantapper auf dem Küchentisch, Kantapper auf dem Sofa, malerisch drapiert mit dunkelgrünen Samtkissen, die seinen Augen schmeichelten. Kantapper in der Badewanne, Kantapper auf Frau Fingerhuts Schultern, wobei selbst Frau Fingerhut fast schmächtig neben dem großen Tier wirkte. Mira hatte den Kater gar nicht so groß in Erinnerung.
Nach eineinhalb Stunden war Miras Kakao kalt und sie fühlte sich ein wenig erschöpft. »Ich finde, wir sollten dieses Bild nehmen«, sagte sie schließlich und zeigte auf ein Foto, das Kantapper auf dem Zaun zeigte. »Man kann ihn von Kopf bis Fuß sehen und gut wiedererkennen.«
Frau Fingerhut seufzte und befreite das Bild aus den Fotoecken. »Ja, hier sieht er allerdings ein bisschen dick aus«, sagte sie zögernd.
»Ich finde es sehr realistisch«, erwiderte Mira. Sie nahm das Foto, klebte es auf ein weißes Blatt und schrieb mit einem dicken schwarzen Filzstift darunter:
KATER ENTLAUFEN!
HÖRT AUF DEN NAMEN KANTAPPER. WER HAT IHN GESEHEN?
BITTE MELDEN BEI FRAU FINGERHUT!
»Jetzt müssen Sie nur noch Ihre Telefonnummer darunterschreiben, das Blatt kopieren und aufhängen!«, sagte Mira, als sie Frau Fingerhut den Stift reichte. Diese seufzte. »Ich weiß gar nicht, wo ich das machen sollte«, rief sie und sah Mira erwartungsvoll an. »Gut«, sagte Mira und seufzte ihrerseits. »Ich kümmere mich darum.«
Also gab Frau Fingerhut Mira Geld und verabschiedete sich mit der Bitte, unbedingt Farbkopien von Kantappers Foto anfertigen zu lassen. (Sonst würde ja keiner seine außergewöhnlichen türkisblauen Augen erkennen.) Und so machte sich Mira auf den Weg in die Altstadt.
Sie musste erst in einigen Geschäften nach einem Kopierer fragen und landete schließlich in einem kleinen Zeitschriftenladen mit einem schlecht gelaunten Verkäufer, der Kantappers Steckbrief auf den kleinen Tischkopierer neben dem Zeitschriftenständer legte.
Gerade als die erste Kopie aus der Maschine glitt, hörte Miranda die Türklingel und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie eine elegante Frau mit schwarzen Haaren den Laden betrat. Sie ging zum Zeitschriftenständer und blätterte in den Magazinen. Dabei beobachtete sie immer wieder Mira, die auf die fertigen Kopien wartete.
Als die letzte Kopie aus dem Kopierer rutschte, nahm die Frau das Blatt und besah sich das Bild des dicken Katers.
»Ist das deine Katze?«, fragte sie freundlich.
»Nein. Das ist ein Kater«, sagte Mira, »und ich kopiere das nur für meine Nachbarin.« Die Frau nickte und schaute sich das Bild genauer an. »Haben Sie ihn vielleicht gesehen?«, fragte Mira vorsichtig. Die Frau schüttelte den Kopf und gab ihr die Kopie zurück. »Es muss sicher schrecklich sein, wenn ein geliebtes Haustier verloren geht«, sagte die elegante Frau beiläufig und blätterte weiter in einer Zeitschrift.
»Ja«, murmelte Mira, »ich denke schon.«
»Etwas zu
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