Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
vereinzelten Laub- und Nadelbäumen, dem sich hindurchschlängelnden Wildbach und den schroffen Felsnadeln ein dur c haus friedliches Bild abgeben können – wenn es nicht voller Netzlinge gewesen wäre.
»Das Tal der Fischer.« Ergils leise Worte waren keine Mitteilung an irgendeinen Gefährten, sondern ein Ausdruck des Verstehens. Hier erst schöpfte der Name seine Bedeutung. Was hinter ihnen lag, war nur der Zugang ins Reich der Fänger gewesen.
»Hat irgendjemand einen Vorschlag?«, erkundigte sich Tusan, während er aus seiner Blasrohrsammlung ein mittellanges Exemplar auswählte. Er wirkte erstaunlich ruhig.
»Das schaffen wir n ie«, hauchte Ergil. »Es sind tausende und sie starren uns an.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Falgon. »Sie haben doc h kein e Augen.«
»Wir können es spüren«, antwortete Schekira anstelle des Prinzen.
Múria nickte. »Weißt du, wie wir ungeschoren da durchkommen, kleine Schwester?«
»Leider nein. Von unseren Verwandten, den Bergelven, gibt es zwar einige Überlieferungen, die von Weberlingen berichten
– so haben sie diese fadenscheinigen Wesen genannt –, aber die beiden Völker sind sich immer aus dem Weg g e gangen, weshalb ich nichts Genaueres weiß.«
In das Meer aus Netzen kam Bewegung. Langsam schlichen sie in Richtung der Reiter.
»Anscheinend gibt es nur eine Strategie, um diesen Gegner zu überraschen«, sagte Tusan.
»Und die wäre?«, erkundigte sich Falgon.
»Augen zu und durch.«
»Hätte ich auch selbst draufkommen können.«
»Wir sollten neue Fackeln anzünden. Die hier sind schon fast runtergebrannt.«
Dormunds Nase entwich ein Schnauben. »Die sind mit dem
Packtier verloren gegangen.«
Ergil stöhnte. »Hat noch je m and eine schlechte Nachricht?« Tusan deutete talaufwärts an ihm vorbei. »Ja, da findet sich
gerade eine fröhliche Jagdgemeinschaft ein. Sie wollen uns in die Zange nehmen. Lasst uns losreiten, bevor die Fackeln ganz erloschen sind.«
»Ich schlage vor«, sag t e Falgon, »wir reiten an der Südwand der Schlucht entlang, damit wenigstens unsere rechte Flanke frei bleibt, aber in ausreichendem Abstand, um nicht von oben angefallen zu werden.«
Der Fährtensucher nickte. »Also los!«
Die fünf Krodibos stürmten in gestr e cktem Galopp ins Tal hinab. Im Zickzackkurs ging es zwischen Felsen und Bäumen hindurch. Wenigstens gab es kaum Schwefelschlünde auf dem Parcours.
Zunächst folgten sie dem Bachlauf. An einer seichten Stelle wechselte Tusan wieder ans Südufer zurück.
J e ti e fer sie in das Reich der »Fischer« eindrangen, desto schwieriger wurde es, ihnen auszuweichen. Die Fänger hingen überall, ja sie verließen jetzt sogar ihre Bäume und Felsen. Tusan gab bald den Versuch auf, sie mit seinem Blasrohr auf Abstand zu halten, we i l sie den giftigen Pfeilen erstaunlich geschickt auswichen – die meisten Geschosse flogen glatt durch die großen »Maschen« ihrer Körper hindurch. Immer häufiger mussten die Reiter daher ihre Fackeln einsetzen, um die lebenden Netze zurückzudrängen. Gleich z eitig hatten sie alle Hände voll zu tun, nicht die Kontrolle über ihre verängstigten Krodibos zu verlieren.
Als sie die Talsohle erreicht hatten, geschahen zwei Dinge, die Ergil beunruhigten: Erstens erlosch seine Fackel und zweitens erblickte er am Himmel seltsam strahlende Gebilde, die langsam auf die Reiter herabsanken.
Die Erinnerung an den Mondtau, mit dem sich sein Bruder in den Namenlosen Sümpfen abgeplagt hatte, blitzte durch Ergils Geist. Aber die im Licht der Mittagssonne gleißenden Flecken ware n größer. Viel größer! Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es sich um Netzlinge handelte. Sie brauchten sich nicht senkrecht fallen zu lassen, sondern konnten offenbar über weite Strecken durch die Luft gleiten, indem sie ihre Körper wie eine Daunenfeder formten.
Unglücklicherweise hatte diese Fähigkeit in der Strategie von Tusan und Falgon keinen Eingang gefunden. Es gab, wenn überhaupt, nur in der Talmitte einen Sicherheitsabstand zu den Felswänden. Aber dahin zu fliehen, erschien ebenso ausweglos, weil sie dort ein wahres Labyrinth aus aufgespannten Netzlingen erwartet hätte. Während nacheinander die Fackeln der Gefährten ausgingen, stellten sie sich innerlich auf das Unvermeidliche ein.
Der erste Fänger segelte auf Falgon nieder, hatte aber offenbar nicht mit dem Eisenholzspeer gerechnet. Der Waffenmeister bohrte die Stahlspitze mitten in den Vitex des
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