Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
hing. Das Elvenschwert leuchtete, als wäre es ein kleiner Komet. Offensichtlich verstärkte das seltene Metall die nächtliche Himmelsglut. Deshalb glitzerte selbst das kleinste Satimkörnchen prachtvoller als der hellste Stern. Ergil seufzte. »Sie müssen Kira sehr lieb haben, wenn sie ihr zu Ehren das mühsam eingesammelte Satim in den Wind streuen.«
»Davon bin ich überzeugt. Komm, ziehen wir uns zurück, damit wir sie nicht doch noch stören.«
Nur mühsam konnte sich Ergil von dem bezaubernden Anblick und dem anrührenden Elvengesang losreißen. Lange wechselten er und sein Ziehvater kein Wort. Schließlich war es Falgon, der, nachdem er im Lager ein Feuer für den Morgentee entfacht hatte, das Schweigen brach.
»Wir können froh sein, die kleine Elvin bei uns zu haben.«
»Wi e meins t d u das?«
»Ihr mädchenhaftes Äußeres und ihre jugendliche Fröhlichkeit täuschen leicht über ihr wahres Alter und ihre Weisheit hinweg. Die Waldelven besitzen, ähnlich wie das Volk deiner Mutter, ein uraltes Wissen und e in besonderes Gespür für ihre Umgebung.«
»Das heißt, Schekira könnte uns vor einer Gefahr warnen, bevor wir sie überhaupt erahnen?«
»Vielleicht nicht in den Städten und Dörfern, die wir besuchen werden, aber in der freien Natur sollten wir uns unbedingt a u f ihren Instinkt verlassen.«
»Das ist gut. Ich möchte nämlich nicht noch einmal so einen Überfall wie neulich beim Uferplatz erleben. Zum Glück hat Twikus unbewusst genau das Richtige für dich getan, als er dich aus dem Haus der Toten zurückrief.«
Jedes M a l wenn Falgons wundersame Wiedererweckung zur Sprache kam, erschauderte dieser. Er versuchte sein Unbehagen hinter einem Scherz zu verbergen. »Komisches Gefühl, wenn man bedenkt, dass mein Herz und die Brust jetzt jünger sind als das Drumherum. Hätte nichts dagegen gehabt, wenn’s gleich zwei, drei Jahrzehnte gewesen wären.«
Ergil nickte bekümmert.
»Wa s is t mi t dir , mei n Junge?«
»Twikus geht es nicht gut und, ehrlich gesagt, mir auch nicht.«
»Weil wir heute den Wald verlassen?«
»Nein, wegen der Männer, die n eulich sterben mussten. Wir werden die schrecklichen Bilder nicht los. Twikus plagt sein Gewissen, weil er die tödlichen Pfeile abgeschossen und Triga zu Staub verwandelt hat.«
»Er grämt sich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Du kennst ihn ja, er will nicht für einen Schwächling gehalten werden.«
»Weiß er, dass du jetzt mit mir darüber sprichst?«
»Er schläft noch. Vielleicht hört er uns im Traum. Aber mir geht es ja auch nicht viel besser als ihm. Du hast uns immer beigebracht, ein Menschenleben als e t was Heiliges anzusehen, als kostbare Gabe Dessen -de r - tut - was - ihm - gefällt. Sind wir jetzt…« Ergil sprach die Frage nicht aus.
»Verdammt?«, erriet Falgon, was sein Zögling dachte. Ergil nickte.
Der Alte legte seine Hände auf die Schultern des Jungen und
bli c kte ihn ernst an. »Das Töten eines Menschen oder eines anderen Wesens, welches der Allmächtige mit Verstand ausgestattet hat, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Sache, mein Junge. Aber manchmal gibt es mildernde Umstände. Stell dir vor, beim Fällen eines Baumes rutscht dir trotz Umsicht die Axt vom Stiel und erschlägt deinen Freund. Sollte dir in so einem Fall nicht ein Recht auf Gnade zustehen? Ganz bestimmt, meine ich. Und genauso ist es, wenn jemand dein Leben bedroht und du dich in angemessener Form wehrst.«
»Das klingt alles so… vernünftig, Oheim. Aber wenn du keine Zeit zum Nachdenken hast, dann ist es schwer, die Dinge besonnen abzuwägen und die richtige Entscheidung zu treffen. War es etwa ›angemessen‹, den Mann zu töten, den Twikus’ Pfeil in den Hals traf? Daran knabbert er nämlich am meisten.«
»Der Krieger wollte mich töten und dein Bruder hatte, wie er mir sagte, auf dessen Schulter gezielt. Twikus konnte nicht wissen, dass der andere sich bewegen würde. ›Wer Blut vergießt, dessen Blut wird ebenfalls vergossen werden, und wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.‹«
»Das hast du uns schon oft gesagt, aber irgendwie tröstet es mich trotzdem nicht.«
Die kräftigen Hände des Waldläufers drückten Ergils Schultern. »Ehrlich gesagt bin ich froh darüber, mein Sohn. Wäre es anders, dann hättest du kein Gewissen. Ich glaube, Der- der - tut - was - ihm - gefällt wird euch verzeihen, wenn du und Twikus ihn aufrichtig um Vergebung bittet.«
»Ich wünschte, er würde uns
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