Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
fortleben.«
Die Flussgolderin rang verzückt die knubbeligen Händchen vor ihren üppigen Brüsten und seufzte: »Das ist wunderbar! Ich möchte euch ein Abschiedsgeschenk m achen.«
»Oh!«
Plitsch tauchte ins Wasser hinab und zwei, drei Atemzüge später wieder herauf. In ihren Fingern hielt sie einen elfenbeinweißen Gegenstand.
»Die Teetasse! Wie entzückend!«, freute sich Schekira. Plitschs Schwimmhauthände bildeten ein provisorisches
Tablett, auf dem sie das Tässchen zur feierlichen Übergabe darbot. »Dieses hauchdünne Trinkgefäß war die ganze Reise über ein Teil des Floßes. Der Goldrand hat ein wenig gelitten, aber ansonsten ist es unversehrt. Platsch und ich fanden, ihr solltet etwas haben, um uns so bald nicht zu vergessen, ein Symbol der freundschaftlichen Fürsorge, die wir euch angedeihen ließen. Ich hoffe, ihr alle freut euch darüber.«
Reihum wurde fleißig genickt und Ergil nahm stellvertretend für Schekira das Erinnerungsstück entgegen.
Platsch rollte mit den grünen Augen. Seine Miene war ein Zwischending aus Ernst und Missbehagen. Rührselige Abschiedsszenen waren eindeutig nicht nach seinem Geschmack. An den Empfänger der Tasse gerichtet, sagte er:
»Wir werden unseren Verw a ndten in den stehenden und fließenden Gewässern sowie den Nixen und Seegoldern der drei Meere Bescheid geben, damit sie über euch wachen. Als Gegenleistung könntet ihr uns, wenn es euch nicht allzu viele Umstände bereitet, vielleicht einen kleinen Gefallen tun: Werft Wikander ins Schollenmeer, verehrter Prinz, damit unsere ozeanischen Verwandten ihn sich vorknöpfen können.«
Ergil verzog das Gesicht. »Gebt mir ein wenig Spielraum, was das Wie seines Abgangs betrifft. Aber meine Gefährten und ich werden unser Bestes tun, um seiner grausamen Willkür ein baldiges Ende zu bereiten.«
»Das ist ein guter Kompromiss. Oder wie Flatsch, der Vetter dritten Grades meiner lieben Plitsch, immer zu sagen pflegt: Besser einen Kupferfisch im Bauch als im Bauch eines Goldenen Hechts.« Der bärtige Wassermann lachte gluckernd.
»Wohl gesprochen, Herr Graf. Vergesst bitte nicht, Eure fleißigen Helfer, die wackeren Krebse, unseres Dankes zu versichern. Inzwischen weiß ich, dass sie sich darüber freuen werden. Und nun lasst mich Euch zum Abschied die Hand reichen.«
Ergil musste in die Knie gehen, um vom Ufer aus die klamme Rechte des kleinen Mannes zu ergreifen. Die Gesichter der Flussgolder waren zu nass, als dass sich darin irgendwelche Tränen erkennen ließen, aber alle waren unübersehbar gerührt
– einschließlich Platsch. Um sich keine Blöße zu geben, machte er der trübsinnigen Stimmung pfeifend ein Ende.
Vor den Augen der am Ufer Versammelten vollzog sich hierauf ein Schauspiel, das allen unvergesslich blieb: Die Drachenkrebse öffn e ten ihre Zangen und das Floß löste sich binnen weniger Augenblicke auf.
Schnell wurden Stämme, Planken, Bimssteine und all die anderen Teile des tapferen Treibgutschiffes von der starken Strömung mitgerissen. Niemand unter den Gefährten mochte ihnen einfa c h den Rücken kehren. Alle verharrten am Ufer, bis das letzte Überbleibsel in der Gischt des Wasserfalls verschwunden war.
Weil die Katarakte für Schiffe unpassierbar waren, gab es eine mit großen Steinplatten ausgebaute Straße, die am Westufer des Fluss e s entlang nach Seltensund hinabführte. Der gesamte Warenverkehr aus und in den Süden des Königreiches wurde auf Wagen, Packtieren und nicht selten von tief gebeugten Trägern über diesen Weg befördert. Kaum einer der Händler und Fuhrleute, die mit verbissenen Gesichtern auf ihm entlangeilten, nahm von den drei Fremden Notiz, die mit ihren Pferden am Wegrand lagerten. Der kleinste in der Reisegesellschaft – ein kräftig gebauter, bärtiger – kaute auf einem Stück Trockenfleisch herum und musterte dabei jeden Vorbeigehenden. Als er von Süden kommend ein junges Paar entdeckte, ging ein Ruck durch seinen Körper. Die Frau war schmächtig, blass und musste von dem Mann gestützt werden. Er brütete mürrisch vor sich hin, sie stöhnte zuweilen und hielt sich den Unterleib.
»Möge Eure Hoffnung nie sinken, Nachbar«, begrüßte der Alte freundlich den Griesgram. »Wir sind fremd in dieser Gegend und brauchen Rat. Ob Ihr uns vielleicht helfen könnt?«
»Eure Sonne«, erwiderte der Gefragte, den traditionellen Gruß auf eine zwar verbreitete, aber nicht als kultiviert empfundene Weise verstümmelnd. Er deutete nach
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