Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Fleckchen Mirad einmal eine große Tragödie zugetragen.«
»Wa s is t damal s passiert?«
»Das lässt du dir am besten von Múria erzähl e n. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, die alten Überlieferungen ebenso wie die jüngere Geschichte unserer Welt aufzuschreiben, um sie für kommende Generationen zu erhalten. Bald werden wir ihr Haus erreichen. Ich habe mir sagen lassen, es soll ziemlich… aus gefalle n sein.«
Dormund lachte. »Wenn stimmt, was über die Behausung der Kräuterhexe Inimai berichtet wird, dann dürfte das eine sehr zurückhaltende Umschreibung sein.«
»Kräuterhexe? Inimai?«, echote Ergil.
Ein wehmütiger Ausdruck trat auf Falgons Gesicht. »Noch so eine traurige Geschichte. Inimai ist ein Wort aus der Sprache der Sirilim und bedeutet ›Süße‹ und ›Vollkommenheit‹. Jemand vom Volk der Weisen hat Múria einst so genannt, bevor er starb. Wikander weiß von alldem nichts, weshalb Inimai ihren zweiten Namen als Tarnung benutzt, um von ihrer Warte aus den Großkönig zu beobachten. Für die Leute hier ist sie nur die Kräuterfrau, die vor sechzehn Jahren von den Katarakten herabkam, um in Seltensund ihre Dienste anzubieten.«
»Wenn sogar der Bruder meines Vaters über ihre Vergangenheit im Ungewissen ist, wie kommt es, dass du sie dan n kennst?«
Falgon wandte sich abrupt von dem Prinzen ab und heftete seinen Blick wieder auf den nordöstlichen Horizont. Es dauerte auffallend lang, bis er antwortete.
»Weil ich Múrias Vertrauen genieße.«
Ergil war zu feinsinnig, um das leise Beben in der Stimme seines Ziehvaters zu überhören. Anscheinend hatte der Durchdringer da gerade an etwas sehr Verletzliches gerührt, in das er besser nicht weiter vorstoßen sollte. Lieber das Thema wechseln, dachte er und fragte: »Wo genau befindet sich Múria s Haus?«
»Keine Ahnung«, brummte Falgon.
»Aber…« Ergil breitete die Hände aus und blickte Hilfe suchend zu Dormund.
»Er will sagen, dass wir nie bei ihr waren. Múria hat ihm über mich in den letzten Jahren allerdings so manche Botschaft geschickt. Sie meinte immer, es sei nicht nötig, den Weg zu ihrer Seeigelwarte zu beschreiben.«
»Zu ihrer… was?«
»Sie wohnt hoch über den zwölf Katarakten in einem riesigen Seeige l au s Stein.«
Jede Antwort, die Ergil auf seine Fragen erhielt, war für ihn ein neues Rätsel. Seine Stirn legte sich in Falten. »Warum ausgerechnet ein Meerestier, hier, am Fuß des Grotwalls, mitten auf dem Land?«
»Das fragst du sie am besten selbst. Vor Einbruch der Nacht müssten wir bei ihr sein.«
Mit dieser Einschätzung lag der Schmied gar nicht so falsch. Die Sonne überschritt gerade den Zenit, als die Drachenkrebse das Treibgutschiff ans westliche Ufer lenkten. Auf derselben Flussseite hatten die Reisenden zwei, drei Meilen stromaufwärts einige vor Anker liegende Frachtsegler passiert und kurze Zeit später sogar die weit ins Wasser reichenden Kaizungen eines Hafens. Mehrmals waren sie von Menschen entdeckt worden, die aufgeregt in ihre Richtung zeigten. Dann hatte der Kandenblood auf einer Strecke von etwa einer halben Meile sein Gesicht verändert, war schmal, reißend und laut geworden. Höchste Zeit, an Land zu gehen. Kaum eine Viertelmeile flussabwärts trübte Gischt die Sicht. Dort lag der erste der zwölf Katarakte von Seltensund.
»Hier trennen sich leider unsere Wege«, verkündete Plitsch in einem Ton, der von Schwermut nur so troff. Sie versicherte ihren Freunden, es sei die aufregendste Reise gewesen, die Platsch und sie je in ihrem Leben gewagt hätten. Sogar aufregender noch, a ls die legendäre Ban - Quell -Mündung s - Expedition ihres Großonkels, des fabelhaften Herzogs von…
Während die Flussgolderin einmal mehr in ihren Familiengeschichten schwelgte, führten die Gefährten ihre Pferde ans Ufer. Danach hieß es endgültig Abschied nehmen.
Schekira sang eine Lobeshymne, die echter Wertschätzung entsprang und der Tradition flussgolderischer Dank- und Abschiedsrituale folgend sehr erschöpfend ausfiel. Platsch und Plitsch waren hingerissen. Zum Schluss bekräftigte die Prinzessin: »Ihr wart so großherzig, so opferbereit, so mutig! Wie können wir euch nur danken, liebe Freunde?«
Plitsch war zu gerührt für eine umfassende Erwiderung. Sie sagte nur: »Indem ihr uns nie vergesst.«
Alle schüttelten die Köpfe, als wäre allein der Gedanke daran eine U n geheuerlichkeit, und Schekira versicherte: »Ihr werdet ewig in den Liedern der Waldelven
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