Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
jemand gesagt, dass ihr eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten seid?«
»Ich, äh…« Ergil blickte irritiert zu Falgon – der grinste nur breit, neigte den Kopf zur Seite und zuckte die Achseln –, dann wieder zu Múria zurück. »Ich hatte bisher angenommen, eher nach dem männlichen Zweig der Familie zu schlagen…«
»Haben die beiden Recken euch das weismachen wollen?« Múrias Kopf deutete zu dem fast zwergenh a ften Waffenmeister und dem Schmied.
»Ich kenne sonst niemanden, der mir etwas über meine Eltern erzählen konnte… und noch lebt.«
Ihre feinen Augenbrauen hoben sich. »Das hört sich an wie ein Echo dunkler Erinnerungen. Ihr müsst mir unbedingt davon erzählen, aber nicht hier draußen. Neuerdings muss man selbst unter freiem Himmel vorsichtig sein, weil die Helfer eures Oheims viele Verkleidungen haben – manchmal sogar solche aus Federn.« Damit wandte sie ihren Blick dem Eisvogel auf Ergils Schulter zu. »Es ist mir eine Ehre, kleine Schwester, Euch in meinem bescheidenen Heim willkommen zu heißen. Nennt Ihr mir Euren Namen?«
Ergil fühlte Schekiras Krallen auf seiner Haut, ihr kurzes Zögern, dann vernahm er ihre helle, feierliche Stimme.
»Mein Name ist Schekira von Gandim - zafaroth, Tochter von Dormas, König der Waldelven und Sohn des Doriman, der ein Enkel von Tachpanes dem Großen war. Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, Inimai. Man merkt sofort, dass Ihr viele Jahre bei unseren Verwandten, den Sirilim, verbracht habt.«
Múria neigte respektvoll den Kopf. »Ich betrachte Eure Feststellung als Kompliment und danke Euch dafür, Hoheit.«
»Wenn Ihr mir die Freude macht, mich Schwester zu nennen, dann sagt bitte auch Schekira zu mir.«
»Gerne. Und ich bin Múria.« Sich wi e der aufrichtend, deutete sie zum Wald hinab. »Dort drüben unter den Bäumen ist der Stall von Kavitha, meiner Schimmelstute. Um diese Jahreszeit streunt sie meistens draußen herum. Sie kann euren Hengsten also nicht den Kopf verdrehen. Im Stall gibt es auch Hafer und alles, was eure Pferde fürs Erste benötigen. Morgen früh sage ic h Gonther…«
»Gonther?«, wiederholte Falgon überrascht.
Múria schien die Unterbrechung eher zu amüsieren als zu irritieren. »Eine gute Seele, die mir die Vorräte bringt, für wartende Kranke Tee kocht und mir in manch anderer Hinsicht zur Hand geht. Er wohnt auch auf dem Berg, etwa eine halbe Stund e vo n hier.«
Die Miene des Waffenmeisters entspannte sich wieder.
»Dann lasst uns die Pferde versorgen, damit wir uns endlich ausruhen könne n.«
»Darum kümmere ich mich«, sagte Dormund rasch und fügte mit einem schiefen Grinsen hinzu: »Einmal Striegeln und Füttern habt ihr zwei ja bei mir noch gut.« Er ließ sich die Zügel des Rappen und des Fuchses geben und trollte sich in Richtung Stall.
Múria verfolgte ihn mit den Augen, bis er außer Hörweite war. »Ein einfacher Mann, den ich schon früher sehr geschätzt habe. Der Verlust von Frau und Tochter hat ihn verändert, aber sein großes Herz ist ihm geblieben.«
Falgon nickte. »Ohne ihn wären wir heute vielleicht alle nicht hier.«
Die Herrin der Seeigelwarte musterte sein müdes Gesicht mit einem Ausdruck des Mitgefühls. »Die Reise muss anstrengend gewese n sein.«
»Sie war mörderisch.«
»Dann lasst uns in mein Haus gehen. Ich möchte gerne alles erfahren.« S ie hakte sich beim alten wie auch beim jungen Mann unter und zog sie in Richtung Eingang.
Als sie direkt vor dem Gebäude standen, legte Ergil den Kopf weit zurück. Die Stacheln verjüngten sich von der Wurzel bis zur Spitze, bis sie so dünn wie ein Stilett waren. Als sein Blick an den schlanken Schäften entlang zum Gehäuse des Seeigels vordrang, entdeckte er mehrere Gruppen von durchbrochenen Stellen. Einige dieser Fenster waren mit Glas gefüllt, andere standen – vielleicht zum Lüften? – offen.
»Es fällt ein wenig aus dem Rahmen, nicht wahr?« Múria hatte offensichtlich die Gedanken ihres jungen Gastes erraten.
»Ich frage mich nur, ob so viel Auffälligkeit die richtige Tarnung ist für…« Ergil scheiterte auf der Suche nach den passenden Worten.
»… eine, die den Großkönig ausspioniert?«, schlug Múria vor. Das wissende Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück. »Bist d u Ergil?«
»Ja . Woher…?«
»Das war leicht zu erraten. Du hast immer eine Frage mehr als dein Bruder gestellt. Wo ist er gerade?«
»E r schläft.«
Múria befr e ite sich aus Ergils Armbeuge – die ihm
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