Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
erleben, wie Flatsch, mein Vetter dritten Grades, immer zu sagen pflegte, wenn er bei schönem Wetter…«
»Das war nicht ganz fair, Plitsch«, tadelte Schekira die Flussgolderin.
»Verzeiht, Hoheit, wenn ich nicht ganz offen zu euch war, aber…«
»Verschieb das auf später. Der Tauchgang beginnt«, unterbrach Platsch seine Angetraute. Soeben war er neben dem Floß aufgetaucht.
Ein paar Schreie der Überraschung hallten durch die Felsenröhre, als die Drachenkrebse ihre Sicherungsmaßnahmen ergriffen: Mensch und Tier fühlten sich von unzähligen Zangen gepackt. Schekira floh unter Ergils Jacke. Die Pferde wieherten erschrocken, als das Treibgutschiff zu sinken begann. Schnell stieg das kalte Wasser empor. Als es Ergils Kinn erreichte, stieß er ein stilles Stoßgebet aus und holte tief Luft…
Dann war er von gurgelndem Grün umgeben.
Ein schwerelos schwebendes Schiff. Seine Gedanken pendelten in einem Zustand zwischen P a nik und Euphorie, Erstere, weil beklemmende Erinnerungen an eine Schussfahrt durch einen Wildbach sich in ihm regten, Letztere, weil diese Welt der Flussgolder und Drachenkrebse so licht und lebendig war. Plitsch und Platsch zischten wie goldene Blitze durch ihr blubberndes Milieu. Kleine Fische kreuzten den Weg. Einige der vielbeinigen »Flößer« tauchten über dem Gefährt auf, um entschwebende Gepäckstücke wieder einzufangen. Vor Ergils Augen waberte ein gleißender Vorhang, Sonnenstrahlen, die senkrecht ins Wasser fielen. Dann glitt das Treibgutschiff auch schon in das Geflirre hinein. Kaum hatte es den offenen Himmel über sich, tauchte es wieder auf.
Ergil rang gierig nach Atem und er hörte, wie die anderen neben ihm das Gleiche taten. Es war bitterkalt. Bibbernd rieb er sich die Augen.
Als er endlich wieder klar sehen konnte, erblickte er einen grünen See, umgeben von hohen Bergen. Nadelbäume drängten sich bis dicht ans Ufer. Im Norden klaffte ein Riss in dem ansonsten abgeschlossenen Talkessel, der auf Erg i l den Eindruck eines gigantischen Kochtopfes machte, in dem ein Riese eine grüne Suppe mit lebender Fleischeinlage zubereitete.
Die Pferde hatten beim Untertauchen instinktiv ihre Nüstern geschlossen und die Fahrt durch die Fluten des Fendenspunds erstaunlich gut verkraftet. Auch den übrigen Reisenden ging es den Umständen entsprechend gut.
»Wenn wir nicht erfrieren wollen, müssen wir dringend an Land und ein Feuer machen«, beschied Falgon.
»Hab lange nicht mehr einen so guten Vorschlag gehört«, gab ihm Dormund Recht.
Die Flussgolder bewiesen Mitgefühl und pfiffen den Drachenkrebsen neue Kommandos zu. Das Floß rauschte zum südöstlichen Seeufer, wo eine kleine Bucht mit steinigem Strand direkt in der Sonne lag und den durchnässten Gefährten zusätzliche Wärme versprach. Gemeinsam suchten sie trockenes Holz zusammen. Nie war Dormunds Begabung willkommener als jetzt. Im Nu hatte er ein munter prasselndes Feuer entfacht.
Kaum waren die Kleider getrocknet, wurde die Floßfahrt fortgesetzt. Am Ausgang des Talkessels verwandelte sich der See wieder in den Strom, dessen Wasser ihn speiste. Nach einem Monat auf dem Fluss, so nah vor dem Ziel, trieb die Gefährten eine kaum noch zu ertragende Rastlosigkeit voran. Ungeachtet dessen mussten sie noch eine weitere Nacht auf dem Fendenspund zubringen, bis er das Treibgutschiff endlich in den Kandenblood trug.
»Das ist der Blutfluss«, sagte Falgon. Er stand am Bug des Floßes, die Arme in die Seiten gestemmt, und atmete tief die frische Luft.
Die Worte drangen wie ein fernes Echo in Ergils Bewusstsein. Seine Gedanken hatten sich bis eben mit einer seltsamen Empfindung beschäftigt, die ihn seit dem Verlassen der Höhlen wie ein Raubtier umschlich. Er stellte sich vor, dieses Gefühl mit den Fingern ertasten zu können – es musste so kalt wie Eis und so scharf wie eine Glasscherbe sein. Vermutlich waren nur seine Nerven überspannt, kein Wunder bei den Strapazen der letzten Wochen. Dankbar nahm er Falgons Angebot für eine Unterhaltung an.
»Ich kenne ihn nur als Kandenblood. Wieso hat er diesen andere n Namen?«
Schekira erkundete wieder einmal die Umgebung und Dormund ging – mit frisch geschorenem Kopf – sogar zwei Beschäftigungen gleichzeitig nach: Er angelte und spitzte zugleich die Ohren.
Falgon blickte nachdenklich in das Gesicht seines Ziehsohnes. ›»Trauriger Fluss‹ wäre wohl die bessere Bezeichnung. Der Legende nach hat sich vor langer Zeit an diesem schönen
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