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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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des Ungetüms folgte etwas, das Ergil zunächst für einen Hals hielt. Dieser Körperteil wurde allmählich dicker und war spiralförmig mit weiteren hornigen Auswüchsen besetzt, die an die Zähne einer Säge erinnerten. Tatsächlich rissen sie das Loch im Eis immer weiter auf, während sie zugleich eine Furche in Richtung Strand schnitten. Als der Hals eine Länge erreicht hatte, die aller Vernunft hohnsprach, begriffen die Könige endlich, was sie da vor sich hatten.
    Es war eine gigantische Seeschlange.
    Sie musste länger sein als der größte Wal, der in Mirads Ozeanen schwamm. Mit beängstigender Geschwindigkeit rutschte der riesige Kopf auf den Zoforoth und seinen in der Zukunft verborgenen Beobachter zu. Ergil spürte einen Druck auf der Brust, der rasch stärker wurde. Er hielt den Atem an. Das Eis kreischte unter dem raspelnden Riesenkörper, Kristalle spritzten nach allen Seiten. Jeden Moment konnte der Sänger von dem Schädel zerschmettert werden oder im Rachen der Seeschlange verschwinden. Doch dann kam ihr Kopf kurz vor dem Chamäleonen zum Stehen.
    Das Maul des Ungetüms war leicht geöffnet. Mehrere Reihen spitzer Zähne schimmerten fahl im Mondlicht. Zwei von ihnen waren faulig schwarz. So jedenfalls schien es. Aber als Ergil genauer hinsah, erschauderte er. Schlagartig schnürte ihm die bedrückende Enge in der Brust die Luft ab. Bei den vermeintlichen Beißwerkzeugen handelte es sich um die Bruchstücke des dunklen Kristallschwertes Schmerz!
    Das Seeungetüm stieß einen tiefen Klagelaut aus. Am liebsten hätte Ergil mit eingestimmt, so sehr litt er unter dem Anblick des Schwertes, das ihm vor nicht allzu langer Zeit fast zum Verhängnis geworden wäre. Vermutlich hatte der Zoforoth das Seeungetüm auf die Suche nach der unheilvollen Klinge geschickt. Als diese erst gefunden war, hatte sie sich irgendwie im Maul des Schlangenwesens festgesetzt.
    Kaguan streckte seine Hauptarme aus und ergriff das nach unten weisende Heft des schwarzen Schwertes. Ohne seinen misstönenden Gesang zu unterbrechen, zog er es mit einem Ruck aus dem Oberkiefer heraus. Nachdem er das Griffstück mit der etwa zwei Fuß langen Klinge hinter sich auf den Boden gelegt hatte, wandte er sich ein zweites Mal dem Riesenmaul zu.
    Die Spitze der Waffe steckte unten zwischen den dolchartigen Zähnen fest. Diesmal ließ sich der Kristalldorn nicht so leicht aus dem Kiefer lösen. Kaguan musste ihn mehrmals hin und her bewegen, um ihn endlich freizubekommen. Bei aller Übelkeit, die Ergil angesichts der Nähe des schwarzen Schwertes verspürte, musste er doch auch den Mut des Chamäleonen bewundern. Ein schnelles Zuschnappen des Seeungetüms hätte genügt, um sich den Zoforoth einzuverleiben, aber es hielt ganz ruhig, als wüsste es sehr genau, dass ihm der Vierarmige Erlösung von quälendem Schmerz brachte. Dann war auch die zweite Hälfte des Schwertes heraus. Ein weiteres tiefes Dröhnen, das nun eher erleichtert klang, ging durch den mächtigen Schlangenleib.
    Kaguan deutete mit seiner rechten Nebenhand nach Norden und veränderte seinen Gesang. Als habe er so der Seeschlange einen neuen Befehl erteilt, wandte sie ihren Kopf von dem Chamäleonen ab, bildete eine riesige Schleife, bis ihr Maul fast das Schwanzende erreicht hatte, und tauchte kurz darauf in die See zurück.
    Wenig später war alles still. Auch der Zoforoth war verstummt. Würde Ergil nicht die tiefe Furche und weiter draußen das Loch im Eis sehen, hätte er an seinem Verstand gezweifelt.
    Der Zoforoth hob das Heft der Waffe vom Boden auf und kehrte dem Schollenmeer den Rücken zu. Mit raumgreifenden Schritten lief er zum Wald zurück.
    Wir dürfen ihn nicht verlieren, hörte Ergil seinen Bruder sagen; er glaubte dessen Geistesstimme anzuhören, wie bedrückend auch für ihn die Nähe des Kristallschwertes war. Ergil heftete sich trotzdem an die Fersen Kaguans.
    Mit einem Mal blieb der Chamäleone stehen und drehte sich zu ihm um. Silbernes Mondlicht fiel in die Schatten unter der Kapuze. Ergil sah hunderte von schimmernden, sich bewegenden Schuppen, wie wenn er in einen wuselnden Ameisenhaufen blicken würde. Aus der eben noch glatten Fläche formten sich Augenhöhlen, Nase und Mund. Ein perfektes Abbild des Gesichts der Könige von Soodland.
    Es grinste die aus der Zukunft spähenden Zwillinge boshaft an. Dann wandte es sich plötzlich ab. Kaguan eilte weiter davon und mit jedem Schritt, der ihn vom erstarrt zurückbleibenden Beobachter forttrug, verschwammen

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