Mirad 02 - Der König im König
seine Umrisse. Zuerst sah es aus, als würde seiner Kutte schwarzer Rauch entsteigen; schnell hüllte ihn die Wolke ein.
»Wir verlieren ihn!«, keuchte Ergil.
»Das darf nicht geschehen«, flüsterte Múria.
Die Wolkensäule schwebte den Steilhang empor. Ergil hatte das Gefühl, seine Augäpfel würden sich aufblähen und jeden Moment zerplatzen. Er nahm wieder die Verfolgung auf, merkte aber, wie der Abstand zum Zoforoth immer größer wurde. Gleichzeitig verblasste dessen formloser Schemen rasch. Oberhalb der Klippe konnte der König den Träger des schwarzen Schwertes kaum noch wahrnehmen, weil sich dieser aufzulösen begann. Kurz darauf schwebten die Reste der Wolke zwischen die Stämme des Kiefernwalds und verschwanden in der Dunkelheit.
Múria blickte ernst ins blasse Antlitz ihres erschöpften Schülers. »Bist du dir sicher, dass du dich selbst auf Kaguans Gesicht gesehen hast?«
Ergil hatte mit monotoner Stimme von der Verfolgung des Zoforoths berichtet, bis zu dem Moment, als Kaguan wie ein Nebelschleier im Wind verschwunden war. »Ja. Zweimal sogar«, antwortete er und machte eine raumgreifende Geste, mit der er die ganze Zelle im Haus der Verwahrung einschloss. »Hier im Kerker zeigte er mir nur mein Spiegelbild. Aber später am Strand hat er meine Züge sogar mit seinen Schuppen nachgeformt. Es war wie eine Verhöhnung. Als wollte er sagen: ›Ihr Narren glaubt, euch vor mir verstecken zu können. Aber ich sehe euch, Ergil und Twikus, und deshalb werdet ihr weder mich noch das schwarze Schwert bekommen. ‹ Wie ist das möglich, Inimai? Wie konnte er gestern schon wissen, dass ich ihn heute auf seiner Flucht beobachten werde?«
»Vergiss nicht, dass du durch die Falten der Zeit zu ihm vorgestoßen bist. In gewisser Weise warst du tatsächlich bei ihm.«
»Wäre er ein Sirilo, könnte ich das ja verstehen, aber so…« Ergil schüttelte müde den Kopf.
»Vielleicht hat er sich gerade dadurch verraten.«
Ergil und auch Falgon horchten auf. »Wie meinst du das?«, fragte der Waffenmeister.
Múria lächelte ihn an, als könne sie dadurch seine Sorgen zerstreuen. Es war ein erschöpftes Lächeln. Die Wanderschaft durch die Falten der Welt hatte auch sie angestrengt. Sie schien mit sich zu ringen, ob sie ihre Befürchtungen aussprechen sollte, aber dann erwiderte sie: »Dank Ergil und Twikus ist Kaguans Treiben nicht unbemerkt geblieben. Wir wissen jetzt, dass er mithilfe der Seeschlange das schwarze Schwert Schmerz geborgen hat. Das kann eigentlich nur eines bedeuten und Ergils Spiegelbild auf Kaguans Gesicht bestätigt leider diese Vermutung. Die Zoforoth sind immer schon Magos’ Augen und Ohren gewesen. Durch sie ist er an unsere Welt gebunden. Und jetzt hat er uns durch seinen Diener Kaguan eine unmissverständliche Botschaft zukommen lassen. Sie lautet: ›Ich habe euch gesehen, aber ich warne euch. Haltet euch fern von mir!‹«
3
DAS VERMÄCHTNIS DER BARTARIN
Kubukus schwielige Hände ruhten schwer auf den Schultern seines Sohnes. Die Blicke der beiden begegneten sich über einem Amboss, auf dem ein noch unfertiges Schwert lag. Der alte Waffenschmied versprach sich wohl eine läuternde Wirkung durch die Hitze des glühenden Stahls. Seiner Ansicht nach hatte Tiko den Kopf voller Flausen, voll »Schlacke«, wie er sich auszudrücken pflegte. Doch in diesem Moment war nur das Vermächtnis der Bartarin wichtig.
»Du musst dieses Wissen in deinem Sinn und in deinem Herzen bewahren, so wie es unser Geschlecht seit Generationen tut«, sagte Kubuku.
Tiko spürte dessen kräftige Arme auf seinen Schultern lasten und fühlte gleichsam, wie sich das eben Gehörte mit dem Glühen des Schwertes in sein Gedächtnis einbrannte. Er war selbst ein ebenso kundiger wie kräftiger Waffenschmied, mit siebenundzwanzig Jahren gewiss kein Knabe mehr, aber trotzdem hatte er sich immer gegen das Erwachsenwerden gewehrt. Bis eben.
»Warum sprichst du ausgerechnet jetzt über das Familiengeheimnis? Und wieso mit mir? Gumo ist der Erstgeborene. Ihm steht das Recht zu, die Tradition an die nächste Generation weiterzugeben«, gab er zu bedenken.
Das Gespräch der beiden fand tausende Meilen östlich vom winterlichen Soodland statt, in einer brütend heißen Schmiede in Silmao. Die Sonne war schon untergegangen und die anderen Schmiede aus dem Hause Bartarin hatten ihr Tagewerk längst beendet. Der alte Kubuku sah seinen jüngsten Sohn lange an, bevor er antwortete: »Gumo kennt das Geheimnis,
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