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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte der Wachmann, der das Nachtmahl brachte, durchs Türgitter geblickt, einen vermeintlich leeren Raum gesehen und Alarm geschlagen. Nun stürmte er mit vier seiner Kameraden in die Zelle. Sie trugen Fackeln, Schwerter und kurze Spieße. Ihre Blicke huschten durchs Gelass. Auch zur Decke. Aber den Zoforoth sahen sie nicht. Ungläubiges Staunen bemächtigte sich ihrer. Wie war so etwas möglich? Ergil konnte sich gut vorstellen, was in den Köpfen der Männer vor sich ging. Nach einigem ratlosen Hin- und Herschauen wandten sie sich geschlossen dem hohen Fenster zu, um die Gitterstäbe zu untersuchen.
    Während sie noch mit einem der Spieße dagegen klopften, krabbelte der Chamäleone lautlos an der Wand herab, klaubte seinen Mantel auf und stahl sich davon.
    Ergil folgte ihm durch das Haus der Verwahrung auf die Straße hinaus. Geschickt nutzte Kaguan die allgemeine Aufregung, um sich immer gerade dorthin zu wenden, wo die suchenden Wachleute nicht waren. Ein paar Mal machte er sich wieder unsichtbar: Blitzschnell schlüpfte er aus seinem Mantel, legte ihn zusammen, bedeckte ihn mit dem vom Betrachter abgewandten Teil seines Körpers und ahmte sodann die Farben und Konturen der Umgebung täuschend echt mit seinem schuppigen Körper nach. Vor einer Mauer sah er aus wie eine Wand aus Feldsteinen, an einem Baum wie knorrige Rinde und auf einem abgestellten Wagen wie eine zusammengeknüllte Segeltuchplane.
    Bald erfüllte Glockengeläut die Nacht über den Dächern von Bjondal. Hauptmann Grotebrecht hatte die Stadtwache alarmiert. Mehrmals kreuzten Trupps von bewaffneten Soldaten den Weg des Chamäleonen. Kaguan täuschte sie alle – nur die Sirilimzwillinge, die seine Verfolgung knapp vierundzwanzig Stunden später angetreten hatten, konnte er nicht abschütteln.
    Ansonsten unbemerkt erreichte der Zoforoth die südliche Stadtmauer. Wie eine Grille kletterte er innen die Wand hinauf und draußen wieder hinunter. Die auf dem Wehrgang patrouillierenden Posten ahnten nicht einmal, wie nahe ihnen der unheimliche Besucher aus den Bergen von Harim-zedojim war.
    Sobald Kaguan keine Entdeckung aus der Stadt mehr fürchten musste, schlüpfte er wieder in seinen Mantel, zog die Kapuze über den Kopf und lief weiter nach Süden. Er durchquerte einen tief verschneiten Kiefernwald, kletterte nach drei oder vier Meilen einen felsigen, nicht sehr hohen Küstenhang hinab, bis er endlich an einem schneebedeckten Strand stehen blieb. Hier bekamen Ergil und Twikus zu spüren, was sie bis dahin nur aus Fingards Erzählungen kannten.
    Der Zoforoth sang.
    Von Gesang konnte man eigentlich nur insofern sprechen, als es sich um eine Abfolge von unterschiedlich hohen Tönen handelte, die einer – unergründbaren – Ordnung folgten. Rhythmus und Harmonien der Melodie lagen jedoch so weit jenseits von allem Vertrauten, dass Ergil ohne nachzudenken jedem Krötenkonzert eine höhere musikalische Qualität bescheinigt hätte. Der Zoforoth schaffte es sogar, mehrere tiefe, vibrierende Töne gleichzeitig auszustoßen, die sich gegenseitig zu bekriegen schienen, während sie auf das Schollenmeer enteilten. So empfand es Ergil als durchaus nachvollziehbar, dass nach einiger Zeit das Eis zu ächzen, zu knirschen und zu knacken begann.
    Die an- und abschwellenden Töne des singenden Zoforoth holperten wie Kaskaden von Kieselsteinen aus seinem Schlund hervor. Die Antwort der Schollen wurde lauter. Einige Geräusche klangen wie dumpf hallende Laute aus großer Tiefe, andere wie ein helles Zischen.
    Die Stimme des Zoforoths schwoll an.
    Wenige vibrierende Tonfolgen später brach etwa zwei Bogenschuss vom Ufer entfernt die Eisdecke auseinander. Ergil hielt den Atem an. Er konnte spüren, dass etwas Gewaltiges und Bedrohliches aus dem Meer heraufstieg, lange bevor er es sah. Unwillkürlich fühlte er sich in den Traum von dem schwarzen Schwert zurückversetzt, obwohl die äußeren Umstände hier grundverschieden waren: Nicht die Sonne, sondern der Vollmond stand am Himmel und der Beobachter schwebte auch nicht über das Schollenmeer, sondern dicht über dem Strand.
    Aber dann tauchte tatsächlich etwas Monströses und Dunkles aus dem fahlen Weiß empor. Es war nicht etwa die Spitze eines Riesenschwertes, sondern die Schnauze eines gigantischen Geschöpfes. Ein Schädel so groß wie eine Scheune schob sich vor dem plötzlich zwergenhaft anmutenden Zoforoth in die Höhe.
    Aber der sang nur noch lauter.
    Dem mit Hornplatten und spitzen Stacheln bewehrten Kopf

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