Mirage: Roman (German Edition)
Hund, der sich hinter der Küche des Watergate herumtrieb, auf der Suche nach Essensresten. Einer der Köche gab ihm ein Bonbon, und so kam das mit dem Gift heraus. Die Bonbons sollten eigentlich vernichtet werden, aber wie Sie sehen können, wurden kleinere Mengen davon als Andenken aufbewahrt. Und als Glücksbringer, natürlich.«
»Glücksbringer«, sagte Amal. »Weil niemand gestorben war.«
»Außer dem Hund«, sagte Salim. Lächelnd nahm er eins der Bonbons vom Teller und gab es ihr. »Hier. Damit Ihnen hier in Amerika nichts zustößt.«
Amal starrte auf das Karamellbonbon, das in Klarsichtfolie eingewickelt war. »Danke«, sagte sie. »Vermute ich mal.«
»Aber ja nicht aus Versehen essen!«, schärfte er ihr ein.
Samir verbrachte den Vormittag damit, al-Qaida nicht in die Finger zu geraten.
Unmittelbar vor der Abreise aus Bagdad hatte er von Idris die Mitteilung erhalten, ein al-Qaida-Mann würde ihn in Amerika mit Anweisungen kontaktieren. Samir hatte keine Ahnung, was man ihm zu tun befehlen würde, aber er nahm an, dass es etwas Gefährliches – möglicherweise Lebensgefährliches, fast mit Sicherheit Illegales und wahrscheinlich sein Vaterland und seine Freunde Verratendes – sein würde.
Er wusste außerdem, dass er nicht Nein sagen konnte. Aber während der Nacht war ihm eine verzweifelte Strategie eingefallen: Wenn er die Befehle des Agenten nicht verweigern konnte, so konnte er vielleicht vermeiden, sie zu empfangen. Die Grüne Zone war so groß, dass es eigentlich möglich sein musste, den ganzen Tag über unsichtbar zu bleiben. Am Abend würde er ins Smithsonian zurückmüssen, aber auch das war ein ziemlich großes Gebäude; vielleicht konnte er in einem Wandschrank schlafen, oder er fand ein Diorama mit einem leeren Grab, in dem er es sich gemütlich machen konnte.
Er brauchte lediglich die nächsten vierundzwanzig Stunden zu überstehen. Morgen würde er draußen auf dem Land sein, und wenn die Aufständischen ihn nach Gottes Willen bis zum Abend nicht erwischten, würde er wieder im Flugzeug sitzen, auf Heimatkurs. Wenn Idris ihn dann fragte: »Hast du den Befehl meines Mannes ausgeführt?«, konnte er aufrichtig entgegnen: »Welchen Mannes?«
Und Idris würde sich mit dieser Antwort zufriedengeben. Klar doch … Aber darüber würde sich Samir zu einem späteren Zeitpunkt den Kopf zerbrechen.
Von größerer Bedeutung war die Erkenntnis, dass er nicht nur seinen eigenen Landsleuten aus dem Weg gehen musste. Während er zusammen mit Mustafa im Foyer des Watergate saß und darauf wartete, dass Oberst Yunus seinepaar Dinge erledigte, betrachtete Samir jedes neue schwarze oder arabische Gesicht, das in Sicht kam, mit einer Mischung aus Angst und Argwohn.
»Zu viel Kaffee zum Frühstück, Samir?«, erkundigte sich Mustafa.
»Mir fehlt nichts«, erwiderte Samir. Seine Aufmerksamkeit verlegte sich jetzt auf einen Wartungstechniker, der auf einer Leiter unter dem Kronleuchter des Foyers stand und eine Glühbirne wechselte. Dem flüchtigen Beobachter wäre überhaupt nichts Verdächtiges aufgefallen, aber da er eine weiße gehäkelte Gebetskappe trug, war Samir sofort überzeugt, dass der Typ ihn aus den Augenwinkeln beobachtete.
»Weißt du«, sagte Samir, »ich glaube, ich lasse die Führung durch das Weiße Haus sausen …«
»Bist du dir sicher?«
»Ja. Ich bin todmüde, ich glaube, ich gehe am besten zurück zum Museum und lege mich ein bisschen aufs Ohr.«
»Du solltest wenigstens warten, bis der Oberst dir einen Fahrer abstellt«, sagte Mustafa. »Das ist ein ganzes Stück zu laufen.«
»Ach was, die frische Luft wird mir guttun.«
Der Wartungstechniker hatte die Birnen gewechselt und stieg jetzt die Leiter herunter. Samir stand schnell auf und flitzte, ohne sich um Mustafas erstaunten Blick zu kümmern, zum nächsten Ausgang.
Eine Folge von Doppeltüren brachte ihn ins benachbarte Bürogebäude, an die Schnittstelle dreier Korridore. Eine Gruppe von arabischen Marineinfanteristen näherte sich auf dem linken Gang, und zwei Schwarze in Anzügen unterhielten sich ein Stück weiter den mittleren Gang entlang; zu seiner Rechten sah er nur eine hispanische Frau, die den Teppich saugte. Samir bog nach rechts ab, und sein Herz setzte einen Schlag aus, als die Frau ihm ein tiefempfundenes »Friede sei mit dir!« zurief.
Zwei Minuten und mehrere interkulturelle Begegnungen später war er draußen auf dem Bürgersteig. Ein Bus stand mit laufendem Motor neben einem Schild mit der –
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