Mirage: Roman (German Edition)
mit einem Toten zu unterhalten.
Eine andere Löwin hatte sich zu Zinat gesetzt. »Haben Sie was dagegen, wenn wir es mal versuchen?«, fragte Zinat und nickte in Richtung der Übungsanlage.
»Nur zu«, sagte Amal. Sie und Salim gaben ihre Waffen ab und gingen dann nach draußen, um eine zu rauchen.
Vor der Invasion war der East Potomac Park LBJs privater Golfplatz gewesen, und unten am Hains Point konnte man noch immer neun Löcher spielen. Aber mit der Ausrede, das Tidal Basin zu sichern, hatten die Marinesoldaten den oberen Teil der Halbinsel in einen Jahrmarkt der Gewalt verwandelt.
Salim beugte sich vor, um Amal Feuer zu geben. Sie sah wieder flüchtig den Geist ihres Vaters und fröstelte.
»Und, wo haben Sie schießen gelernt?«, fragte Salim.
»In Beirut.«
Er war überrascht. »Sie sind Libanesin?«
»Bagdaderin«, sagte Amal. »Aber ich habe an der Uni-Lib studiert.«
»Ha! Ich auch!«
Sie spielte die Kokette. »Wirklich? Entschuldigung, aber Sie sehen noch so jung aus.«
»Ich war nur eine Woche lang immatrikuliert.« Er sah sich um. »Ich wollte das hier nicht verpassen.«
»Ihren Beitrag zum Krieg gegen den Terror leisten«, sagte Amal. »Ihre Eltern müssen sehr stolz sein.«
Er runzelte die Stirn, und sie befürchtete, zu weit gegangen zu sein. Doch dann sagte er: »Also, mein Papa ist nicht hundertprozentig glücklich darüber.«
»Ach?«
»Er ist übervorsichtig«, erklärte Salim. Einen Moment lang kämpften in seinem Gesichtsausdruck Loyalität und Groll miteinander. »Er liebt mich, aber er will nicht, dass ich die geringsten Risiken eingehe.«
»Und Ihre Mutter? Wie steht sie dazu?«
Diesmal gab es keinen Konflikt: Er sah einfach schuldbewusst aus. »Sie hat Angst um mich. In ihrem letzten Brief …« Er verstummte, zog an seiner Zigarette. »Aber ich habe ihr versprochen, dass mir nichts zustoßen wird.«
»Na dann«, sagte Amal, die Augen auf eines der Kanonenboote auf dem Fluss gerichtet. »Wenn Sie es ihr versprochen haben …«
Er lachte. »Es ist doch nur ein Einsatz von sieben Monaten! In null Komma nichts bin ich wieder zu Hause und langweile mich … Und, wie ist es, für den Heimatschutz zu arbeiten?«
»Aufregend«, sagte sie. »Sogar noch aufregender, als ich erwartet hatte. Und davor habe ich für das ›Büro‹ gearbeitet, was auch ganz schön toll ist. Da kann man Bankräuber jagen. Natürlich«, fügte Amal hinzu, »braucht man für beides ein abgeschlossenes Studium.«
»Ja, ich weiß«, sagte Salim. »Dass ich das noch mache, habe ich meiner Mutter ebenfalls versprochen.«
Sie warfen ihre Zigarettenstummel weg und gingen wieder hinein in die Schießanlage, wo Zinat und ihre Freundin gerade fertig geworden waren.
»Was ist los?«, fragte Amal, als sie ihre Gesichter sah. »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie verloren haben!«
» Ich nicht«, sagte Zinat. »Aber Tamara hat ein Kind mit Trinkbecher erschossen.«
»Ein fetter amerikanischer Junge«, schniefte Tamara und übergab ihr Gewehr dem Hauptfeldwebel.
»Es ist allgemein bekannt, dass Limonade gesundheitsschädlich ist«, steuerte Salim bei.
»Apropos ungesundes Süßzeugs«, sagte Amal, »was hat es damit auf sich?« Sie zeigte auf einen Teller Karamellen, der auf dem Tresen vor der Waffenkammer stand. In der Mitte des Tellers, der aus einem Stück einer Mörsergranate bestand, ragte ein stählerner Dorn in die Höhe, an den einkunstloser Totenkopf angeschweißt worden war. Für den Fall, dass der nicht eindeutig genug wäre, hatte man unter den Schädel ein Pappschildchen mit der Aufschrift VERBOTEN! geklebt. Amal hatte auf der Schießanlage einen ähnlichen Teller gesehen, der allerdings mit weichen Sahnebonbons gefüllt gewesen war.
»Das«, sagte der Hauptfeldwebel, »ist ein Lehrbeispiel dafür, wie wichtig es ist, sich an die Vorschriften zu halten.«
»Und für die langfristigen Auswirkungen von Testosteron auf den Sinn für Humor«, fügte Zinat hinzu. Der Hauptfeldwebel sah sie finster an, aber sie lächelte liebreizend zurück, bis er wegschaute.
»Die sind aber doch wohl nicht wirklich vergiftet?«, sagte Amal.
»Oh doch«, sagte Salim, »mit Zyankali.« Er erklärte: »Es gibt hier so ein christliches Fest namens Halloween – der ›Vorabend der Heiligen‹ –, wo es Tradition ist, Fremde mit Süßigkeiten zu beschenken. Letztes Jahr bekam die Kantine eine riesige Menge Halloween-Süßigkeiten geschenkt.«
»Gab es Todesopfer?«
»Nicht unter uns. Aber es gab einen herrenlosen
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