Mirage: Roman (German Edition)
»Ich darf kein Handy bei mir haben. Das hat man uns gesagt – es ist ein Sicherheitsrisiko.«
»Vergessen Sie die Vorschriften«, sagte der al-Qaida-Agent. »Das MZF, in dem Sie fahren werden, wird wahrscheinlich mit einem Breitband-Frequenzzerhacker ausgerüstet sein, da würde ein gewöhnliches Mobiltelefon ohnehin nicht funktionieren. Dieses hier ist so umgebaut worden, dass es auf einer nicht blockierten militärischen Frequenz senden kann.«
Samir schüttelte immer weiter den Kopf. »Ich soll in einem Fahrzeug voller Soldaten telefonieren?«
»Die Kurzwahl geht bei diesem Gerät ganz einfach. Sie brauchen es nicht einmal aus der Tasche zu holen, lassen Sie es einfach eingeschaltet, und dann, wenn Sie das Signal bekommen, drücken Sie auf zwei Tasten. Ich zeige es Ihnen.«
»Was für ein Signal?«
»Sie werden am Straßenrand eine Plakatwand mit einem aufgemalten Kreuz sehen. Sobald Sie diese Plakatwand passieren, drücken Sie auf die Kurzwahltaste und lassen es klingeln.«
»Und was passiert dann?«, fragte Samir.
Der al-Qaida-Mann zeigte ihm ein Foto von Malik und Jibril. Das war nicht das Foto, das Samir immer in seiner Brieftasche hatte. Es war ein Foto, das er noch nie gesehen hatte, es zeigte die Jungen beim Spielen in ihrem neuen Zuhause in Basra. Der Fotograf, wer immer es gewesen war, hatte abends draußen vor dem Schlafzimmerfenster gestanden und hineingeschaut.
»Was dann passiert?«, sagte der al-Qaida-Mann. »Dann bekommen Ihre Söhne die Chance, erwachsen zu werden – das passiert dann.«
Das Weiße Haus war eine ziemliche Enttäuschung. Mustafa hätte gern den neuen amerikanischen Präsidenten kennengelernt, von dem er einiges Gute gehört hatte, aber ein Terminkonflikt machte dies unmöglich. In Abwesenheit seines Hauptbewohners war das Gebäude ein Palast wie jeder andere auch gewesen, wenngleich geschmackvoller als die Hussein-Residenz. Der Rosengarten war hübsch.
Nach dem Weißen Haus machten sie eine Rundfahrt zu einigen der weiteren Sehenswürdigkeiten der Grünen Zone, um schließlich den Kreis im Mittelpunkt der Mall zu vollenden, von wo aus sie zu Fuß bis zum Sockel des Washington-Monuments schlenderten. Oberst Yunus machte Mustafa auf mehrere Pockennarben an der Nordwand des Obelisken aufmerksam. Das da, erklärte er, war das Resultat von Mörserbeschuss durch Aufständische, nachdem Gerüchte in Umlauf gekommen waren, Bulos ad-Darir plane, den Obelisken als Zeiger einer gigantischen islamischen Gebetsuhr zu verwenden.
»Falsche Gerüchte?«, fragte Mustafa.
»Gerüchte«, sagte Oberst Yunus. »Apropos Gebet, es ist fast Mittag. Sollen wir vor dem Essen am Museum halten?«
Sie gingen die Mall entlang in östlicher Richtung. Der Oberst zeigte auf ein burgartiges Gebäude, bei dem es sich, wie er sagte, um eine weitere, den Kriegen des Christentums gewidmete Außenstelle des Smithsonian handelte. »LBJs Missgeschicke nehmen breiten Raum ein, aber es gibt auch eine ganze Menge über die ursprünglichen Kreuzzüge. Es ist recht interessant, sie aus der Perspektive des Gegners dargestellt zu sehen.«
»Und mein Gästebett stand vorher im Kreuzfahrerflügel?«
»Ja.« Der Oberst lächelte. »Aber ich bezweifle, dass es Papst Urban gehörte.«
In der Ferne konnten sie die halb vollendete Kuppel des neuen Kapitolgebäudes sehen. Durch eine tief ziehende Wolke, die sich dahinterschob, erschien die Kuppel vorübergehend vollständig. Mustafas Innenohr spielte plötzlich verrückt. Er stolperte und wäre gestürzt, wenn der Oberst ihn nicht aufgefangen hätte.
»Vorsicht«, sagte Oberst Yunus. »Sie leiden an Schwindelanfällen?«
»Manchmal wird mir tatsächlich schwindlig«, erklärte ihm Mustafa. »Aber diesmal sind es, glaube ich, nur die Auswirkungen der Zeitumstellung.«
»Chronisches Schwindelgefühl ist hier weitverbreitet. Es ist ein Symptom des Golfsyndroms, wie es die Ärzte nennen.«
»Golfsyndrom? Golf wie Golfkrieg?«
»Ja, aber auch im Sinne einer ›Leere‹, einer Lücke zwischen der Weise, wie die Dinge sind, und der Weise, wie sie nach unserem Gefühl oder Instinkt sein sollten. Das Gefühl von … Dislokation , von ›am falschen Ort sein‹, lässt sich schwer beschreiben, aber wenn Sie es einmal gespürt haben …«
»Ich habe es gespürt«, sagte Mustafa. »Und ich glaube, mein Vater ebenfalls.«
Der Oberst nickte. »Ich habe davon gehört, dass es vereinzelte Fälle von Golfsyndrom auch in Arabien gibt. Hier ist es viel weiter verbreitet. Fast
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