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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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hatte. Als Simeon sich drehte, um sich, die Schulter voran, zwischen zwei andere Männer zu schieben, sah Haidar seinen Oberkörper einen Augenblick lang im Profil und erkannte in einer plötzlichen Intuition, was sich unter seiner Weste und seinem Hemd verbarg.
    »O Gott«, sagte Haidar. »Code Schwarz! Code Schwarz!«
    »Und so biete ich Ihnen, im Namen des Barmherzigen Schöpfers der Juden und der Christen und der Muslime, diese eine Hoffnung, diesen einen Wunsch an: Friede sei mit …«
    Der Segen des Patriarchen wurde durch einen plötzlichen Ansturm von Sicherheitsleuten auf die Bühne unterbrochen. Im selben Moment versuchte einer von Haidars Männern, Joe Simeon zu fassen zu bekommen. Simeon drehte sich fast beiläufig um und stach dem Mann mit einem Messer, das er aus seinem Hotelzimmer mitgenommen hatte, in die Brust. Jemand anders stieß einen Schrei aus, und die Menschenmenge begann, in Panik zurückzufluten, wodurch sie die anderen Sicherheitsleute, die nach vorn zu laufen versuchten, am Weiterkommen hinderten. Joe Simeon ging ein paar Schritte weiter auf die Bühne zu undsprach dabei einen eigenen Segen. Dann zündete er die Bombe.
    Der folgende Lichtblitz blendete jedes Auge, das in seine Richtung schaute, und blendete auch sämtliche Kameras. Niemand konnte später sagen, was genau geschehen war. Aber es gab keine donnernde Explosion, keine Druckwelle – und, sobald das Licht verblasst war, auch kein Blutbad. Die Bühne und die Menge blieben unversehrt, und was ein Ort des Todes und der Zerstörung hätte sein müssen, war stattdessen, wie durch einen Zaubertrick, zu einer wuselnden Masse von Leben geworden.
    Vögel. Ein Schwarm von Vögeln, um den missglückten Selbstmordattentäter wie Punkte auf einem Globus angeordnet, und jeder mit einem einzelnen blanken Nagel in den Klauen.
    Wie auf Kommando ließen sie ihre Last fallen. Das Klingeln der Nägel, die aufs Pflaster fielen, war in diesem Augenblick atemloser Stille im ganzen Park zu vernehmen. Dann flogen die Vögel kreischend auf. Es waren keine Tauben. Es waren Raben, Aasfresser der Wüste, und sie waren zornig, denn heute hier in Bagdad gab es, entgegen allen Erwartungen, für sie nichts zu holen – selbst der Mann, den Joe Simeon niedergestochen hatte, kam mühsam schon wieder auf die Beine, die Hand auf eine blutende Wunde gepresst, die zwar schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich war.
    Joe Simeon, dem Weste und Hemd in Fetzen vom Leib hingen, starrte in den Himmel, während sich sein Ausdruck der Entrückung in Verblüffung wandelte, als er erkannte, dass auch er noch unter den Lebenden weilte. »Jesus?«, sagte er. Die Raben ignorierten ihn und flogen höher. »Wartet!«, schrie er und hob beide Hände wie Krallen in die Höhe, als wollte er den Himmel kletternd erreichen. Aber die Schwerkraft ließ seine Knie einknicken, und dann stürzten sich auch schon Männer mit Ohrknöpfen von allen Seiten auf ihn.
    Am anderen Ende des Parks, fernab vom Getümmel, hob der Nomade im weißen Gewand den Kopf und öffnete die Augen. Mit einem kaum wahrnehmbaren zufriedenen Nicken rüstete er sich, in das unsichtbare Reich, dem er entstiegen war, zurückzukehren, nur um sich vom kalten Stahlring einer Pistolenmündung, die gegen seinen Nacken drückte, an diese irdische Stelle gebannt zu fühlen.
    »Rühr dich nicht«, befahl ihm Haidar und zog Handschellen heraus. »Rühr dich ja nicht.«
    »Du hast recht«, sagte Amal, als Mustafa geendet hatte. »Es klingt wirklich verrückt … Glaubst du das?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Mustafa. Er sah auf das Foto, auf die Messingflasche zu Füßen seines anderen Ichs. »Ich glaube aber, dass Saddam das glaubt. Ich glaube, er sucht diesen Dschinny, um selbst ein paar Wünsche loszuwerden, um die Welt so umzumodeln, dass sie eher seinen Wunschvorstellungen entspricht.«
    »Und Bin Laden?«, sagte Samir. »Was ist sein Schlachtplan? Und dürfen sich Wahhabiten überhaupt etwas wünschen?«
    »Wahrscheinlich nicht. Aber sie dürfen auch keine Terroranschläge verüben, und trotzdem scheint ihn das nicht abgeschreckt zu haben.«
    »Wie lautet also unser Schlachtplan?«
    »Was den Dschinn angeht, kann ich das noch nicht sagen«, erwiderte Mustafa. »Aber solange wir noch Gesetzeshüter sind, dachte ich – nicht lachen –, wir könnten versuchen, das Gesetz zu hüten.«

Apokalypse
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    Im landläufigen Sinne ist eine Apokalypse ein katastrophales Ereignis , welches das Ende einer historischen Epoche und/oder

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