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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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war mit Beamten der Bagdader Polizei bemannt. Alle erforderlichen Schmiergelder waren bezahlt worden, deswegen rechnete er hier nicht mit größerem Ärger – es sei denn, Saddam, durch die ausgebliebene Einladung vergrätzt, entschloss sich zu irgendwelchen Vergeltungsmaßnahmen. Der unmittelbar um das Rednerpodest verlaufende innerste Sicherheitsring setzte sich hauptsächlich aus Leibwächtern der verschiedenen Teilnehmer zusammen. Hier war das Ärgerpotenzial schon größer, da sich viele dieser Leute trotz ihrer lautstarken Solidaritätsbekundungen gegenseitig nicht ausstehen konnten. Besondere Sorge bereiteten Haidar Berichte über neue Feindseligkeiten zwischen der Mahdi-Armee und dem Badr-Korps, die beidehier gut repräsentiert waren, und er konnte nur hoffen, die Anwesenheit von Fernsehkameras würde sie dazu motivieren, das versprochene Wohlverhalten auch tatsächlich an den Tag zu legen.
    Aber seine größte Sorge war die mittlere Sicherheitsschicht – Bewaffnete, teils uniformiert, teils in Zivil, deren Aufgabe es war, sich durch die Zuschauermenge zu bewegen und nach etwaigen Störenfrieden Ausschau zu halten, die sich an den Polizeikontrollen vorbeigeschmuggelt haben mochten. Haidar hatte dafür nur seine eigenen Leute einsetzen wollen, aber mehrere prominente Gäste hatten darauf bestanden, diese Truppe in Eigenverantwortung personell aufzustocken. Außerstande, das Hilfsangebot auszuschlagen, ohne eine politische Krise heraufzubeschwören, hatte Haidar stattdessen den Park in gesonderte Überwachungszonen eingeteilt und jeder Gruppe ihr eigenes Territorium zugewiesen. Die Mahdi-Armee bekam einen Streifen am äußersten Westende des Parks, direkt neben dem Gebäude der Arabischen Telekom, während das Badr-Korps das östliche Ende bekam, neben dem Postamt. Die saudische Sicherheitstruppe wurde in die Mitte gestellt, umgeben von Mitgliedern anderer, lokaler sunnitischer Gruppen, die Haidar entsprechend seiner Kenntnis von deren gegenwärtigen Beziehungen zu den Badristen und den Sadristen platziert hatte. Haidars eigene Leute waren im ganzen Park verstreut und hatten den Auftrag, die Bewacher zu bewachen.
    Haidar selbst blieb ständig in Bewegung und versuchte, durch Funkkontakt, Beobachtung und Instinkt den Überblick über die ganze Chose zu behalten. Während seine Mutter auf dem Rednerpodium über den »Moment« sprach, blieb er an einem der Polizeikontrollpunkte stehen, um sich die Besucherzahl geben zu lassen. Sie war gering: um die zweitausend Menschen, auf einem Gelände, das fünfmal so viel aufnehmen konnte. Die der Presse mitgeteilte Schätzung würde weit höher liegen, um ein volles Haus zu suggerieren.
    Senatorin al-Maysani schloss ihre Ausführungen und übergab das Mikrofon dem Gouverneur, Nuri al-Maliki. Haidar ging den Nordrand entlang und suchte mit den Augen den Park ab. An strategischen Punkten waren Nebelsprühmaschinen aufgestellt worden, um die Menschenmenge vor Überhitzung zu schützen und um der Veranstaltung einen feinsinnigen Regenbogeneffekt zu verleihen, aber sie beeinträchtigten auch die Sicht.
    Nach al-Maliki betrat der Mann das Podium, der ihm im Amt des Gouverneurs zu folgen hoffte: Muqtada as-Sadr. Haidar, der jetzt zwischen den Schutzengeln stand, funkte rasch die Männer an, die er zur Bewachung der Badrs abgestellt hatte. »Alles in Ordnung«, kam die Antwort. »Wir haben hier ein paar Leute, die ein Gesicht machen, als hätten sie gerade in eine Zitrone gebissen, aber keiner spielt verrückt.«
    »Vor der Bühne ebenfalls keine Probleme«, fügte eine zweite Stimme hinzu.
    »Die Anbaris fangen an zu murren«, sagte eine dritte Stimme. »Ich hoffe, wir haben auf der Rednerliste auch ein paar Sunniten.«
    »Keine Sorge«, sagte Haidar. »Als Nächster ist der Bürgermeister von Ramadi dran.« Er blieb weiter in Bewegung.
    Die Kundgebung näherte sich allmählich der Fünfzig-Minuten-Marke, und die ersten gelangweilten Zuschauer begannen, in Richtung Ausgänge zu schlendern, als der einzige vorgesehene christliche Redner ans Mikrofon trat. Der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche von Babylon war ein alter Mann aus Kurdistan. Wie mehrere seiner Vorredner wirkte er anfangs wie aus dem Gleichgewicht geraten, verunsichert vielleicht durch die noch immer schockierende Leere oberhalb der Plaza im Norden. Doch er hielt sich an den Seiten des Rednerpults fest und richtetesich gerade auf, sah hinunter auf die Menschenmenge und lächelte.
    »Guten Tag«, begann er.

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