Mirage: Roman (German Edition)
abtanzte. Udai, der das Gefühl hatte, das Zimmer drehe sich, blieb wie angewurzelt stehen, bis die Flamme das Kohlenbecken zu seinen Füßen erreichte. Dann fiel er kreischend rücklings um, sodass sein Rückgrat in schmerzhafte Berührung mit dem Türpfosten kam.
Herr Rammal blieb da, wo er war, beobachtete den Weg des Feuers und hörte dem Klirren der Schellen zu. Ein kaltes Lächeln erblühte auf seinen Lippen.
»Gehen Sie und holen Sie Ihren Vater«, sagte er. » Bitte .«
Die Kundgebung wurde direkt südlich der NullPunkt-Plaza abgehalten, auf einem schmalen Stück Boden, auf dem ehemals das Welthandelszentrum Nummer 7 gestanden hatte. 2002 war dieses Grundstück, vom Schutt befreit und vorübergehend in einen Park verwandelt, Schauplatz der Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Anschläge gewesen.
Die Idee, auf der Stätte eine Moschee zu errichten, war erstmals im April 2003 der Öffentlichkeit vorgestellt und fast einhellig begrüßt worden. Der Teufel steckte, wie immer, im Detail, und schon bald war zwischen verschiedenen sunnitischen und schiitischen Gruppierungen ein Streit darüber entbrannt, wer das Projekt finanzieren, planen, ausführen und leiten würde. Öffentliche Diskussionsrunden zu diesem Thema endeten nur mit einer weiteren Polarisierung der Standpunkte, und Klausurtagungen mit Beteiligung der Stadt, des Staates und der Konfessionen liefenauch nicht besser ab; ein als Beobachter zugelassener Mullah erklärte, die Atmosphäre bei letztgenannten Veranstaltungen erinnere ihn an die während einer Befragung des Premierministers im persischen Parlament – »nur mit härteren Bandagen«.
Die politische Debatte um die Moschee hatte sich weitere sechs Jahre lang hingezogen – und hatte fünf Monate zuvor in der Verlautbarung gegipfelt, man sei zu einem Kompromiss gelangt. Seitdem waren mehrere Termine für die endgültige Festlegung des Baubeginns ergebnislos verstrichen, und innerhalb der Moschee-Koalition waren neue Verwerfungslinien zutage getreten. Die heutige Kundgebung war ein Versuch, die Sache wieder in Gang zu bringen. Als Feier angekündigt, stellte sie tatsächlich eher etwas wie einen Analogiezauber dar, insofern, als die Idee dabei war, alle Hauptakteure dazu zu bringen, sich vor Publikum so zu verhalten, als ob der Bau der Moschee Fortschritte machte. Schafften sie es, die Zeremonie zu überstehen, ohne dass es zum Weltuntergang kam, würde es ihnen dann vielleicht auch gelingen, die Arbeiter und die Kräne in Wirklichkeit zu mobilisieren.
Nicht jeder hatte es einrichten können. Der Präsident hatte sich zwar mit sehr klaren Worten für das Moschee-Projekt ausgesprochen, jedoch die Einladung zur Kundgebung dankend abgelehnt, bei gleichzeitigem Versprechen allerdings, der tatsächlichen Grundsteinlegung, falls sie denn jemals stattfinden würde, persönlich beizuwohnen. An seiner Stelle hatte er eine Abordnung von Funktionären der Einheitspartei geschickt, während die PG, um nicht hintanzustehen, eine Delegation von Sauds entsandt hatte.
Saddam Hussein hatte ebenfalls dankend auf seine Teilnahme verzichtet – und anders als der Präsident hatte er dazu nicht erst die Einladung abgewartet. In Anbetracht der Identität der Frau, die die Gästeliste erstellte, war dies ein taktisch kluger Schachzug gewesen.
Ein weiterer Prominenter, der durch Abwesenheit glänzte, war der arabische Senator Osama bin Laden. Er hatte vorgehabt, an der Kundgebung teilzunehmen, und war zusammen mit den Sauds aus Riad angereist, nur um in allerletzter Sekunde krank zu werden. Zurzeit erholte er sich in seinem Hotel.
Für Amals Bruder Haidar, Chefkoordinator der Sicherheitsmaßnahmen, bedeutete die Nachricht vom Fernbleiben Bin Ladens eine große Erleichterung. Er wünschte sich nur, sie wäre schon früher gekommen. Zwar legten alle Teilnehmer an der Kundgebung Wert darauf, diese unbeschadet zu überstehen, aber Bin Ladens Voraustrupp war geradezu paranoid gewesen und hatte ihn wiederholt nach jedem einzelnen Detail der getroffenen Vorkehrungen ausgefragt. Haidar hatte nichts gegen Gründlichkeit, wohl aber hatte er etwas gegen Leute, die offensichtlich einem Schiiten nicht zutrauten, seine Arbeit ordentlich zu machen.
Jetzt hatte er ein bisschen mehr freie Energie, die er anderen Problemen widmen konnte – und daran bestand wahrlich kein Mangel. Die Sicherheitsvorkehrungen waren in drei konzentrischen Schichten angelegt. Die äußere Schicht, bestehend aus Absperrungen und Kontrollpunkten,
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