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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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jammerschade. So viele Zielpersonen auf einer einzigen Bühne. Aber es werden andere Gelegenheiten kommen. Im Chaos nach dem Zusammenbruch der Fata Morgana können wir viele von ihnen zur Strecke bringen, diejenigen, die dann nicht schon tot sind … Ja … Friede sei auch mit Ihnen, Herr Senator.«
    Er legte auf und ging wieder ins Haus. Im Wohnzimmer lief der Fernseher, al-Jazira ohne Ton. Sie zeigten das Video von der Kundgebung: eine wackelige Aufnahme von Joe Simeon, der gerade den Sicherheitsmann niederstach, auf die Bühne zuging, dann mehrere Sekunden Schwärze, und dann die Raben, die sich in die Höhe schraubten. Darunter der Text: WUNDER AM NULLPUNKT?
    Idris nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. »Khalid!«, brüllte er. »Hol deine Waffe! Wir gehen raus!«
    Doch die Person, die seinem Ruf folgte, war Mustafa al-Bagdadi. Mustafa kam aus der Küche mit einer Teekanne und zwei Tassen und Untertassen auf einem silbernen Tablett. »Sie haben fast keinen Zucker mehr«, sagte er.
    »Was machen Sie hier?«, sagte Idris. »Khalid!«
    »Ihr Dienstbote wird uns nicht stören«, erklärte ihm Mustafa und setzte das Tablett auf dem Tisch ab, der in der Mitte des Zimmers stand. »Ich habe ihn gebeten, sich ein wenig die Beine zu vertreten, damit Sie und ich uns in Ruhe unterhalten können.«
    »Worüber?«
    »Über al-Qaida und die Flugzeugentführungen vom 9. November«, sagte Mustafa. Er begann, den Tee einzuschenken. »Über Ihre Rolle bei der Ermordung Tausender unschuldiger Menschen. Darunter meiner Frau.«
    Auf einer Vitrine zur Rechten Idris’ lag ein Lederetui. Er griff danach, klappte den Deckel auf … und das Etui war leer.
    Mustafa räusperte sich. Idris drehte sich um und sah die Pistole, die er gesucht hatte, auf dem Tisch neben dem Teetablett liegen.
    »Sie enttäuschen mich«, sagte Mustafa. Er setzte sich in Reichweite der Pistole und nahm eine der Tassen Tee. »Die amerikanischen Kreuzzügler brauchen nur einen einzigen Muslim zu töten, und schon tönen und spreizen sie sich wie die Pfauen. Aber Sie und Osama bin Laden schlachten Scharen von Menschen ab, und es ist Ihnen nicht mal ein müdes Bekennerschreiben wert? Und das nach Ihrem ganzen Gerede über Gerechtigkeit! Sollte ein Gerechter nicht stolz auf seine Taten sein?«
    Idris starrte noch immer auf die Waffe. »Ich habe keine Angst zu sterben«, sagte er.
    »Ja, das verstehe ich«, sagte Mustafa. »Aber Sie haben es auch nicht besonders eilig zu sterben, habe ich recht? Lieber überlassen Sie das Sterben anderen, während Sie sich in aller Ruhe am Leid Ihrer Opfer weiden. Schön, das verstehe ich ebenfalls: Sie waren schon immer ein Sadist. Was ich nicht begreife, ist, welcher Zusammenhang zwischen alldem und etwas bestehen soll, das den Namen ›Islam‹ verdient. Ich begreife nicht, wie selbst Sie ein solcher Narr sein können, an die Existenz eines solchen Zusammenhangs zu glauben.«
    »Sie haben recht, Sie begreifen nichts!«, sagte Idris, der allmählich in Wut geriet. »Aber ich bin kein Narr!«
    »Ich sage, das sind Sie doch. Ich sage, Sie sind genauso verblendet wie die sogenannten Christen, die im Namen Jesu Angst und Schrecken verbreiten.«
    »Vergleichen Sie mich nicht mit diesen Leuten!«
    »Warum nicht?«, sagte Mustafa. »Sie jagen derselben Fata Morgana nach und opfern am selben falschen Altar.«
    »Nein!« Idris schüttelte den Kopf. »Gott steht auf unserer Seite.«
    »›Auf unserer Seite‹. Und auf wessen Seite stand Fadwa?«
    »Das kann ich nicht beurteilen. Ich kannte sie nicht. Das aber weiß ich: Entweder sie war eine Gerechte oder sie war es nicht. Wenn sie eine Gerechte war, dann starb sie als Märtyrerin und wird im Paradies weiterleben. Und wenn nicht – warum sollte es mich dann kümmern, dass sie tot ist?«
    »Weil Sie nicht das Recht hatten, ihr das Leben zu nehmen!«, schrie Mustafa. »Ich hoffe, es gibt ein Paradies. Ich hoffe, Fadwa findet den Weg dorthin, findet das Glück, das ich ihr nicht schenken konnte. Aber selbst wenn es so ist, stand es Ihnen nicht zu, sie in Ihrer beispiellosen Arroganz auf den Weg zu schicken. Und nicht nur sie. Tausende starben allein in den Türmen. Tausende! Was haben Sie sich dabei gedacht? Was hat sich Osama bin Laden dabei gedacht? Was bildet ihr Leute euch ein, wer ihr seid?«
    »Ich bin ein Gotteskrieger«, sagte Idris Abd al-Qahhar stolz. »Ich, und Osama bin Laden, und alle Männer von al-Qaida. Sie können uns nicht dazu bringen zu bereuen, was wir getan

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