Mirage: Roman (German Edition)
Geschichte hören«, fuhr Saddam fort. »Sie braucht nicht perfekt zu sein – ich weiß, dass Sie kein Profi sind –, aber inspirierend muss sie sein, etwas, was meine Männlichkeit bestätigt. Schluss mit diesen lächerlichen Fantasien über militärische Niederlagen oder Schlupflöcher oder … Schuldsprüche. Ich will eine Geschichte, an die ich glauben kann. Sind Sie bereit, mir eine zu bieten?«
Der Gefangene hatte sich insoweit erholt, dass er seinen Peiniger mit einem Ausdruck absoluten Hasses fixieren konnte. Einen Moment lang sah es so aus, als könnte er vor ihm ausspucken, aber Saddam hielt die Fernbedienung in die Höhe und drehte sie herum, damit die Zahlen auf der Skala zu sehen waren. Der Gefangene hielt noch einen weiteren Moment lang stand, schlug dann die Augen nieder und kapitulierte.
»Ja«, sagte er. »Ich werde Ihnen erzählen, was Sie hören wollen.«
»Sie werden mir erzählen, was ich hören will – was?«
»Ich werde Ihnen erzählen, was Sie hören wollen … Herr Präsident.«
Der Aufruf zum Morgengebet war gerade verstummt, als Saddam aus dem Kellergeschoss wieder heraufkam. Sein Sohn Qusai wartete schon auf ihn.
»Was gibt’s?«
»Mustafa al-Bagdadi«, sagte Qusai. »Er ist da. Er hat das Objekt.«
Saddam lächelte. Der Tag fing gut an: Er hatte an der Erzählung des Gefangenen viel Freude gehabt, und jetzt das.
»Die Tochter der Senatorin ist bei ihm«, fuhr Qusai fort. »Auch der andere Agent, Samir, der laut al-Mukhabarat der Qaida Bericht erstattet.«
Noch besser. »Dann wird Bin Laden also alles erfahren, was wir sagen.« Saddam nickte. »Dann werden wir uns Mühe geben müssen, ihm auch was Anständiges zu bieten … Du hast sie alle durchsuchen lassen?«
»Ja.« Qusai zögerte. »Es gab ein Problem mit der Tochter der Senatorin. Udai hat versucht, sie eigenhändig abzutasten, anstatt eine Frau aus dem Haus zu rufen, die das erledigt. Sie hat auf die Beleidigung heftig reagiert.«
»Sag mir nicht, dass dieser Idiot sie verletzt hat!«
» Ihr geht’s gut. Udai kann, glaube ich, von Glück reden, dass sie ihre Waffe schon abgegeben hatte.«
Saddam errötete. »Wo ist dein Bruder jetzt?«
»Weg. Ich habe ihm geraten, eine lange Spazierfahrt zu machen.«
»Wenn er zurückkommt, will ich ihn sprechen … Was ist mit dem Objekt? Wo ist es?«
»Die Wache trägt es gerade in dein Büro.«
»Führ Mustafa und die Übrigen ebenfalls dorthin.«
»Soll ich die Tochter der Senatorin draußen lassen?«
»Du bist sicher, dass sie nicht bewaffnet ist?«
»Ja. Trotzdem hat sie einigen Grund, dir den Tod zu wünschen, deswegen sollte man vielleicht, um absolut sicherzugehen …«
»Nein, ist schon gut. Lass sie rein. Mit Blicken darf sie mich gern töten, wenn’s ihr Spaß macht.« Saddam rieb sich die Hände. »Aber der Einzige, dessen Wünsche heute in Erfüllung gehen, der bin ich.«
Amal tat wirklich ihr Bestes. Aber die Schärfe ihrer mörderischen Blicke wurde durch ein kleines Lächeln gemildert, Letzteres durch den Gedanken an die Kleinkaliberpistole angeregt, die, in einer Falte ihrer Abaya versteckt, sowohl Udais plumper Abgrapscherei als auch der anschließenden gründlicheren Durchsuchung entgangen war. Die Pistole war einschüssig und nicht sehr zielgenau, aber Amal zweifelte nicht an ihrer Fähigkeit, Saddam Hussein, sollte sie sich dazu entschließen, eine Kugel ins Gehirn zu jagen.
Natürlich würde sie dann ebenfalls sterben. An einem anderen Tag hätte sie das Tauschgeschäft zumindest in Erwägung gezogen, aber jetzt hatte sie, wie Mustafa, andere Prioritäten. Es genügte zu wissen, dass sie es hätte tun können – dass Saddam verwundbar war. Sie konnte immer noch später wiederkommen und ihn dann erschießen.
Auch wenn sein Gesicht nichts davon verriet, spielte auch Samir mit dem Gedanken, Saddam zu erschießen. Er hatte allerdings keine versteckte Waffe, und er wollte mit Sicherheit nicht sterben. Das war das Problem: Idris hatte nichts unversucht gelassen, um sich Saddams Beute selbst unter den Nagel zu reißen, und wenngleich Samir für den verbockten Kommandoeinsatz wirklich nichts konnte, wusste er, dass Idris ihn trotzdem dafür büßen lassen würde. Während also Amal Saddam anstarrte, warf Samir Seitenblicke auf die Maschinenpistole des Leibwächters, der direkt neben Saddam stand. Er dachte: Schnapp dir die Knarre, knall beide Wachen ab, knall Saddam ab, knall Qusai ab, schnapp dir die Batterie, und dann lauf, lauf, lauf …
Ja, und
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