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Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
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Jammer-greis war offenbar wild entschlossen, uns davon zu
überzeugen, wie großartig er früher einmal war. Durchschnittstypen gibt's ja
nicht auf dieser verdammten Welt. Und natürlich auch niemanden, der sich nicht
begeistert für die Revolution einsetzt. Sogar Tolba Marzuq. Selbst meine
Wenigkeit. Wir mußten vorsichtig sein. Sarhan war ein Nutznießer des Regimes
und Mansur höchstwahrscheinlich ein Spitzel. Und der Alte, wer weiß? Selbst bei
Madame war es nicht abwegig anzunehmen, daß die Sicherheitsorgane ihr eine Art
Überwachungsfunktion übertragen hatten.
    Als Zuchra mir eine Flasche Soda
brachte, fragte ich sie: »Und du, Zuchra, liebst du die Revolution?«
    »Sehen Sie sich doch nur einmal das
Bild an, das sie sich ins Zimmer gehängt hat!« forderte Madame mich auf.
    War das etwa eine Erlaubnis, mich in
ihr Zimmer zu schleichen? Zwar hatte der Whisky uns jetzt zur Intimität
verleitet, aber ich wußte, daß das nicht von langer Dauer sein würde. Zwischen
mir und Sarhan oder Mansur würde es nie eine echte Freundschaft geben. Und dies
bißchen Sympathie würde bald ebenso vergessen sein wie das Mädchen, das ich im
Büfett des Kinos Metropol aufgelesen hatte. Ich mußte mir unbedingt eine Arbeit
suchen, die meine Kräfte brauchte und meine Zeit einteilte, weil ich sonst aus
irgendeiner Situation heraus irgendeine Erzdummheit oder gar einen Mord begehen
würde. Sicher war, daß ich für immer Junggeselle bleiben würde, denn ich wollte
mich nicht noch einmal einem »Nein!« aussetzen. Außerdem gab es in dieser
aufstrebenden Gesellschaft kein passendes Mädchen für mich. So konnte ich also
alle Frauen als wandernden Harem für meine Gelüste betrachten bis hin zu einem
exzellenten Hausmädchen, das die Leere meiner künftigen Wohnung füllen würde.
Ein Hausmädchen wie Zuchra.
    Aber nein doch, Zuchra selbst. Sie wird
das sicher dankbar annehmen. Sie wird die Aufgaben der Dame des Hauses
übernehmen, aber auf die Mühen von Schwangerschaft, Geburt und Kinderaufzucht
verzichten. Und sie ist schön. Ihre niedrige Herkunft ist der Garant dafür, daß
sie all meine Kapriolen und Liebschaften hinnehmen wird. So wird das Leben
trotz allem akzeptabel sein und mir Vergnügungen bieten, die jedenfalls nicht
zu verachten sind.
    Sarhan wußte so viele Witze zu
erzählen, daß wir uns halb kranklachten.
    Selbst Mansur platzte manchmal los, zog
sich dann aber schnell wieder in sein Schneckenhaus zurück.
    Hört ... Lest ... Das ist
das Todesurteil ... Werden die Engländer reglos zusehen, wie uns der
Kommunismus verschlingt!
    Jetzt begannen die Lieder, begann das Lauschen. Wie
üblich packte mich Unruhe. Ja, ich konnte einem Stück oder auch zweien folgen,
dann überkamen mich Zerstreutheit und Langeweile. Die anderen waren außer sich
vor Begeisterung, während ich in Einsamkeit versank. Was mich wirklich in
Erstaunen setzte, war, daß Madame als Griechin Umm Kulthum genauso liebte wie
die anderen.
    Sie hatte offenbar mein Erstaunen
bemerkt, denn sie sagte: »Ich habe sie schließlich ein ganzes Leben lang
gehört.«
    Tolba Marzuq horchte hingebungsvoll.
Dann flüsterte er mir zu: »Nur gut, daß sie mein Gehör nicht auch sequestriert
haben!«
    Der Methusalem hielt die Augen
geschlossen und gab sich dem Zuhören hin oder vielleicht eher einem Nickerchen.
Verstohlen blickte ich zu Zuchra auf ihrem Sessel neben dem Wandschirm. Sie war
wirklich schön. Aber hörte sie zu? Woran dachte sie? In welcher Hoffnung mochte
sie sich wiegen?
    Irritierte sie das Leben so, wie es das
mit uns tat? Plötzlich ging sie ins Innere der Wohnung, während alle anderen
vor Begeisterung hingerissen waren.
    Ich stand auf und ging in Richtung Bad,
um sie auf dem Korridor abzufangen.
    Spielerisch griff ich nach ihrem Zopf
und flüsterte ihr zu: »Nur dein Gesicht ist schöner als der Gesang!«
    Sie erstarrte, da trat ich auf sie zu,
um sie an mich zu ziehen, aber ihr kühler, warnender Blick hielt mich zurück.
    »Ich habe lange auf diesen Moment
gewartet, Zuchra!«
    Sie entzog sich mir schnell und ging zu
ihrem Sessel. Gut. Im Allam-Palais in Tanta gibt es Dutzende deiner Sorte,
kapierst du? Oder reicht dir etwa meine Bildung nicht, du Dreckstück? Ich
kehrte zu meinem Platz zurück und suchte meine Wut hinter bewundernden Seufzern
für Lieder zu verbergen, denen ich gar nicht zuhörte. Dann packte mich der
zwingende Wunsch, mit meiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten, um
wenigstens einmal in dieser langen Nacht ehrlich mit mir

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