Miranda - so stolz und so süß (German Edition)
zu früh gewesen, und genau das hatte Leo gehofft, weil er sie überrumpeln wollte. Er wurde enttäuscht.
Er hörte sie in den Empfangssalon kommen, blieb jedoch mit dem Rücken zu ihr vor dem Kamin stehen. Im Spiegel sah er sie die Tür schließen und ihn eine Weile betrachten.
“Halte ich der Prüfung stand, Adela?”
Sie reckte das Kinn und schaute ihn im Spiegel an. Er lächelte, doch sein Lächeln wirkte nicht herzlich, eher selbstgefällig und herablassend. Er war, wie sie meinte, daran gewöhnt, von Frauen bewundert zu werden, und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm einen Dämpfer zu verpassen. Verärgert reckte sie das Kinn noch höher.
“Du siehst passabel aus, Leo. Ich habe jedoch schon viele besser aussehende Männer gesehen.”
Flüchtig erschien ein verärgerter Ausdruck in seinen dunkelblauen Augen. Dann senkte er halb die Lider. “Ach, wirklich?”, erwiderte er eine Spur mokant. “Du verfügst natürlich über sehr viel Erfahrung.”
Miranda empfand die ungerechtfertigte Bemerkung wie einen Stich. “Oh! Sehr viel!”, sagte sie und lächelte verkrampft. “Was willst du von mir? Ich wollte soeben ausgehen.”
“Das sehe ich. Ich werde dich auch nur kurz aufhalten.” Leo zögerte, drehte sich um und musterte kühl die ungeduldig vor ihm stehende schöne Witwe seines Vetters. An diesem Morgen sah sie trotz der Schatten unter ihren wundervollen Augen noch hübscher aus. Leo fragte sich, ob er daran schuld sein mochte, dass sie Schatten unter den Augen hatte. Widerstrebend verdrängte er den Gedanken. Sie war der Grund gewesen, warum er schlecht geschlafen hatte. Er bezweifelte jedoch, dass sie seinetwegen eine unruhige Nacht verbracht hatte. Aber er fühlte sich zumindest auf dem Posten. Eine Wiederholung des unverzeihlich unbeholfenen Benehmens vom Vortag würde es nicht geben.
“Möchtest du dich nicht setzen?”, fragte er in höflich-kühlem Ton. “Wir haben einiges zu besprechen und können es uns ebenso gut bequem machen, ehe wir miteinander reden.”
Miranda hatte ein ungutes Gefühl im Magen, gab indes nicht zu erkennen, wie unbehaglich ihr zumute war. Stattdessen erwiderte sie ebenso eisig: “Danke, aber ich ziehe es vor, stehen zu bleiben.”
“Wie du willst. Wie ich hörte, nennst du dich hier Mrs Fitzgibbon.”
“So heiße ich.”
“Im Moment.” Wieder dieses selbstgefällige Lächeln.
Miranda lachte in einer Weise, die ihr fremd war. Sie war leichtsinnig, leicht verrückt, zu allem fähig. Ihre Stiefmutter und ihre Freunde hätten sie nicht wiedererkannt. Sie kam sich wie eine Fremde vor und empfand gleichzeitig ein befreiendes, berauschendes Gefühl.
“Mir war nicht bewusst, dass du Scheidungen aussprechen kannst, Leo.” Das hatte sie in einem sarkastischen Ton geäußert, dessen sie sich nie für fähig gehalten hätte.
“Ich bin zu vielem imstande, Adela. Noch kennst du mich nicht.”
War das eine Drohung? Leo hatte sehr leise gesprochen.
“Da Julian oft über dich geredet hat, glaube ich dich zu kennen”, erwiderte Miranda leichthin, als sei ihr alles gleich.
Bei der Erwähnung des Vetters hatte Leo die Augen verengt. “Ach, er hat über mich geredet?”
“Oft. Du warst sein Vorbild. Er hat sehr viel von dir gehalten.”
Leo wirkte überrascht und einen Augenblick lang beinahe angreifbar. Dann furchte er jedoch finster die Stirn, und Miranda nahm an, sie habe es sich nur eingebildet, dass er verwundbar sei.
Er war indes überrumpelt worden. Mit einer solchen Eröffnung hatte er nicht gerechnet. Nur einen Moment zuvor hatte Adela ihn mit blitzenden Augen angesehen und den Eindruck erweckt, ihn eher ermorden statt ihm ein Kompliment machen zu wollen. Er fragte sich, was diesen plötzlichen Sinneswandel herbeigeführt haben mochte. Er kam sich wie ein kleines Boot auf sturmgepeitschten Wellen vor, aus dem Gleichgewicht geraten und gefährlich abgetrieben. Er war nicht auf den Gedanken gekommen, die “dekadente Gräfin” könne plötzlich zeigen, dass sie ein Herz hatte. Im Stillen schüttelte er den Kopf. Wenn er zuließ, dass er abgelenkt wurde, würde er nie die Oberhand haben. Der einzige Weg, wie er diese Angelegenheit zum gewünschten Abschluss bringen konnte, war, bei der Sache zu bleiben.
“Hast du dir mein Angebot noch einmal überlegt, Adela?”
So, das war besser! Sie hatte wieder diesen glitzernden Blick und krümmte die Finger um den Griff des Sonnenschirms, ganz so, als würde sie ihn Leo am liebsten auf den Schädel
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