Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
zu genehmigen. Doch auch der Schlehenlikör reichte nicht aus, sie fror immer noch. Langsam, mit schleppenden Schritten zog sie sich die Treppe ins Obergeschoss hoch zum Schlafzimmer. Sie spürte ihr Alter in jeder Faser ihres Körpers und war zutiefst dankbar, als sie endlich gewaschen war, ihr dickes Nachthemd angezogen hatte und im Bett lag.
Ruhe! Und Wärme. Mehr brauchte sie jetzt nicht. Sie verzog ihr Gesicht, als ein Stechen in der Herzgegend ihr unmissverständlich klarmachte, dass sie heute ihr Kräftekonto weit überzogen hatte. Erst nach mehr als einer Stunde konnte sie einschlafen.
Sie träumte.
Mira nahm einen intensiven Lavendelduft wahr. Sie fühlte sich nicht wohl, Schmerzen in den Beinen quälten sie, auch das Atmen fiel ihr schwer. Sie wollte nach Hause, aber wo war ihr Zuhause? Als würde ihr der Traum antworten, sah sie, kaum dass sie die Frage gestellt hatte, ein Haus vor sich auftauchen. Es stand im Zentrum einer riesigen Lavendelplantage. Ein riesiger, silbriger Mond beschien die Szenerie, es war ergreifend schön. Im nächsten Moment war sie direkt vor dem Haus. Ihr war nun voll bewusst, dass sie träumte. Sie sah, dies war ihr Haus und doch nicht ihr Haus. Sie wusste, dass Häuser, echte Häuser der Erde, nicht so wunderlich und zum Niederknien schön von innen heraus leuchteten.
Mit Belustigung sah sie, dass ihr Gartendrache Thaddäus wie ein kleiner Hund vor dem Haus umher lief, er schnüffelte mal hier, mal da und hatte offensichtlich seinen Spaß.
Im nächsten Moment befand Mira sich im Inneren des Hauses. Dort lag ein großes, altes Buch auf einem Pult aus Rosenholz. Es war dabei, sich zu schließen. Nur noch wenige Zentimeter, dann Millimeter, dann schloss sich das Buch lautlos.
In dem Moment, als die letzte Seite zum Liegen kam, konnte Mira ein Bild von Melissa sehen, wie sie unter dem Lindenbaum saß und zufrieden zeichnete und schrieb. Dann fühlte Mira eine große Last von sich abfallen. Sie konnte ihre Beine wieder leicht bewegen, ihr Atem wurde kraftvoll.
Mira hörte innerlich eine Stimme: „Das ist das Buch deiner Berufung. Es hat sich geschlossen. Den letzten Dienst als Lichtbringer leistest du an Melissa. Aber das Buch deines Lebens hat noch viele unbeschriebene Seiten, die von dir gefüllt werden wollen.“
Thaddäus war plötzlich bei ihr und fing an, von innen heraus zu glühen, bis er ein funkelnder Lichtball war, der Freude versprühte.
Dann wachte Mira in ihrem Lindenhaus auf. Sie fühlte sich wohl, war warm und sprach ein kleines Dankgebet. Nun hatte sie die Gewissheit, dass es noch nicht so weit war, das Zeitliche zu segnen. Sie hatte damals ihren Engel falsch verstanden! Wieder weinte sie leise, aber diesmal vor Freude.
Vertraue! …raunte es in ihr und um sie herum. Lavendelduft hing im Schlafzimmer.
Briefe
Mira lag am nächsten Morgen noch lange im warmen Bett und genoss die Erinnerung an diesen bedeutsamen Traum. Und sie dachte nach. Ihr war bewusst, dass sich nicht wie von Zauberhand eine Lösung für ihr Problem mit der beachtlichen Mieterhöhung finden würde, ohne dass sie selbst etwas dafür tat. Sie vertraute fest darauf, dass es diese Lösung gab und dass der Herrgott, ihm sei gedankt, etwas für sie bereitet hatte. Aber wenn sie nicht danach Ausschau hielt und nichts in Bewegung brachte, ihre Chancen nicht ergriff, dann würde sie schlimmstenfalls in absehbarer Zeit auf der Straße stehen.
Daher schlug sie mit neu gefundenem Elan die Decke zurück und verließ ihr kuscheliges Bett. Gleich nach dem Frühstück setzte sie sich an ihren Computer, schrieb eine E-Mail an ihren Sohn Markus und schilderte ihm ihre Lage. Dass sie diese Mail schon vor Wochen hatte schreiben wollen, wusste sie nicht mehr. Mira wandte stolz ihre mühevoll erlernten PC-Kenntnisse an, scannte das Schreiben ihres Vermieters ein und schickte es im Anhang mit. Ihr Sohn war ein weitgereister, kluger Mann und würde ihr sicher weiterhelfen können. Außerdem war es ihr ein willkommener Anlass, Nähe und Zuwendung zu erhalten. Hoffentlich kam er bald wieder zu Besuch! Warum sollte eine betagte Frau alle Probleme allein bewältigen, wenn doch Hilfe zur Verfügung stehen würde? Sie wusste, dass ihre „Stärke“ gleichzeitig auch eine ihrer Schwächen war. Nicht nur immer anderen geben, sondern auch nehmen und einfordern! Sonst entstehen auf lange Sicht Ungleichgewichte, die niemandem gut tun. Das hatte sie in ihrem langen Leben aus Erfahrung gelernt, aber leider
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