Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Trost. Ich muss ja ehrlicherweise zugeben, dass ich eine Trost-Essen-Liebhaberin bin.“
Ich wollte ihr gerade von meinen „Spaghetti speciale“ erzählen, als der Bürgermeister die gute Stube betrat und Miras Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ansgar schoss Bilder von den beiden, und dann gesellte sich auch noch der Abgeordnete der Evangelischen Diakonie hinzu. Als ich genug gehört hatte, ging ich raus in den Garten in der Hoffnung, Valerius zu finden. Ich wollte mit ihm über unsere Aurafotos plaudern. Naja, das war der Vorwand, den ich mir ausgedacht hatte. In Wahrheit vermisste ich seine Nähe. Ich fand ihn heute noch attraktiver als bei unserer ersten Begegnung im Einkaufszentrum. Außerdem wollte ich unbedingt noch einmal in seine Augen schauen.
Ich fand ihn mit einem Berg Blätterteiggebäck auf der Gartenbank bei Thaddäus und setzte mich zu ihm.
„Auch was?“ Valerius hielt mir eine Käsestange von seinem Teller entgegen. „Oder lieber Würstchen im Blätterteig?“
„Nein, danke. Ich bin bis obenhin randvoll mit Kuchen. Würden Sie mir ein paar Fragen beantworten für meine Reportage?“
„Schießen Sie los, Melissa.“ Valerius schaute mich konzentriert an.
„Glauben Sie an Engel?“
Er schwieg eine Weile und sagte dann leise: „Ja. Neben mir sitzt einer.“
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Mir verschlug es die Sprache und ich versank in seinen gefühlvollen Augen, im grünen wie im blauen. Immer tiefer, bis ich das Gefühl hatte, direkt in sein Herz und seine Seele zu schauen. Unsere Lippen näherten sich einander zögernd, fragend. Ich spürte schon seinen warmen Atem und….
„Ey, Finksche. Es erfolgt gleich die feierliche Geldübergabe an die Hospiztussi. Wollen Sie dabei sein?“
ANSGAR! Oh, wie ich ihn in diesem Moment verabscheute und direkt in die Hölle wünschte!!! Valerius schien ebenso zu empfinden, denn er schaute Ansgar finster an und zerbröselte die Käsestange in seiner Hand zu Krümeln auf molekulare Größe. Ich vermute, lieber hätte er Ansgar zerkrümelt.
„Gehen Sie vor und machen Sie Ihren Job, Ansgar. Ich komme gleich hinterher.“
Der Zauber des Momentes war gebrochen.
Mein Haus, mein Drache, mein Buch…
Es war später Abend geworden, Ruhe kehrte im Lindenhaus ein. Miras Freunde waren nach dem Aufräumen und einem letzten gemeinsamen Dankgebet nach Hause gefahren. Dieses Jahr hatte das Fest, einschließlich des gespendeten Anteiles ihrer Jahreseinnahmen die stattliche Summe von 3.930 € eingebracht. Die Leiterin des Hospizes, die mittlerweile auch eingetroffen war, hatte diese „Gabe der Engel“ mit Dank und Freude entgegengenommen und in einer kleinen Rede die unermüdliche Arbeit dieser Gruppe gewürdigt. Der Bürgermeister hatte ein paar Worte zur ehrenamtlichen Arbeit gesprochen und ging dann heim mit einem Beutel voll Engelkeksen für seine Enkelkinder. Dieses Jahr hatte er die Summe nur auf 4.000 € aufgestockt, mit einem dezenten Hinweis auf die Wirtschaftskrise. Die Presse, vertreten durch Melissa und Ansgar, hatte sich bald darauf verabschiedet und dann war Mira ganz allein im Haus.
Sie war erschöpft und blass und fühlte eine starke innere Unruhe. Mira nahm sich eine warme Jacke aus ihrem Schrank, griff nach ihrer Kniedecke und ging in ihren Garten. Es war Vollmond. Sie nahm auf ihrer Bank Platz, wo vor kurzem noch Melissa und Valerius gesessen hatten. Mira lächelte versonnen, sie hatte nämlich zufällig durch das Fenster des Gästezimmers gesehen, dass die jungen Leute sich hatten küssen wollen, doch leider war dieser unmögliche Fotograf dazwischen geplatzt.
Es war schon etwas kühl, und sie wickelte die Decke fester um ihre Beine.
„Thaddäus, nun ist es wieder vorbei. Für mich ist unser Engelfest schöner als Weihnachten, kannst du das verstehen?“
Der Steindrache nickte sanft.
„Weißt du, was mich traurig macht?“
Thaddäus legte seinen Kopf schief und sah seine Mira bekümmert an.
„Dass mein Ältester wieder keine Zeit hatte, beim Fest dabei zu sein. Immer geht seine Arbeit vor, immer, immer. Ich glaube fast, er hat mich vergessen. Sein letzter Besuch ist über ein Jahr her! E-Mails sind kein Ersatz für echte Augenblicke. Ich wünschte, er wäre hier.“
Mira fing leise zu weinen an. Dunkle Wolken zogen in rascher Folge über den Vollmond und verdunkelten ihn. Die Abendkälte nahm zu und die alte Frau beschloss, wieder ins Haus zu gehen und sich dort noch einen Likör als Schlummertrunk
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