Mischpoche
Wagenburgen, ehe ihn dröhnendes Glockengeläut ins Bewusstsein zurückholte. In Ödenburg, so stellte er fest, ging man auch an Werktagen in die Messe.
Nach zwei Stunden, die er in der Gesellschaft von Winnetou und Old Shatterhand verbrachte, war es endlich kurz vor 8 Uhr, sodass er es gefahrlos riskieren konnte, die Bäckerei der Amalia Finsterer aufzusuchen. Die thronte auch schon in ihrem Reich hinter einer überdimensionalen Theke und zeigte sich bereits voll informiert.
»Die Resi hat mir heut’ bei der Morgenmess’ eh schon g’sagt, dass Sie kommen werden, Herr Inspektor. Das Lausmensch, das Sie suchen, nennt sich Peidl.«
»Beidl?«
»Na, Peidl. Mit hartem P. Wie der ehemalige ungarische Regierungschef. D’rum hab’ ich mir’s auch so leicht g’merkt. Der Vorname ist irgendetwas Ungarisches. Hajni oder Timi oder so etwas Merkwürdiges. Jedenfalls etwas Heidnisches, mit dem was man kein Kind ned taufen dürfert.«
»Und wissen Sie auch, wo man diese Frau Peidl antreffen könnte?«
»Klar. Die arbeitet in dieser Wirkwarenfabrik in der Kossuthgassen d’rüben. Gleich bei der Tramwaystation.«
Einen Moment lang verfinsterte sich Bronsteins Gesicht, und der Gedanke rauschte ihm durch den Kopf, die Peidl war nur deshalb so oft beim Bürkl gewesen, weil sie für die Fabrik diverse Kleinigkeiten einkaufte. Doch er verwarf diese Überlegung sofort wieder. Eine Wirkwarenfabrik war sicher nicht auf den Fundus eines Knöpferlzählers angewiesen. Er rang sich zu einem Lächeln durch.
»Frau Finsterer, verbindlichsten Dank. Und wenn ich schon einmal da bin: ein Grahamweckerl bitte.« Nun war er nicht nur der Lösung des Falles einen wichtigen Schritt näher, er kam auch noch zu einem Frühstück. Beschwingt begab sich Bronstein in die Kossuthgasse, wo er alsbald das mächtige Fabriksgebäude ausmachen konnte.
An der Fabrikspforte erlitt er jedoch einen Rückschlag: »Peidl haben wir da nur eine«, erklärte der Zerberus, »die Kinga. Auf die passt auch Ihre Beschreibung, weil die ist ein Einserjahrgang. Das weiß ich zufällig, weil wir vorige Woche ihren 20er gefeiert haben. Aber die ist heute nicht da. Der Chef hat sie nach Hause geschickt, weil sie gar so schlecht ausg’schaut hat am Mittwoch. Die hat wahrscheinlich die Gripp’ oder so was.«
»Und wo ist zu Hause im Fall der Peidl?«
»Da müssten S‹ in der Lohnstelle nachfragen. Hauptgebäude, zweiter Stock rechts.«
Bronstein folgte den Anweisungen des Portiers und wurde von einer jungen Frau in der Buchhaltung davon in Kenntnis gesetzt, dass Kinga Peidl in einem kleinen Dorf im ungarischen Teil der Region lebte, von wo sie jeden Morgen mit dem Fahrrad nach Ödenburg komme. Genauere Adresse habe man jedoch keine, da sie bis vor Kurzem direkt hier in Ödenburg gewohnt, aber ihre genauen Daten seitdem noch nicht übermittelt habe.
Für einen Augenblick spekulierte Bronstein mit dem Gedanken, selbst in dieses Dorf zu fahren, um dort persönlich nach der Peidl zu fahnden, doch bei nüchterner Betrachtung war diese Vorgangsweise von vornherein zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn es ihm gelingen würde, ohne Pass, allein mit seiner Polizeimarke als Ausweis, über die Demarkationslinie zu kommen, so würde man ihn auf der ungarischen Seite keinesfalls irgendeinen ermittlungstechnischen Schritt machen lassen. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als bis zum Montag zu warten, da man vor Ablauf des Wochenendes in der Fabrik nicht mehr mit ihr rechnete.
Doch dieser Rückschlag hatte, fand Bronstein, auch sein Gutes. Am Rückweg erkundigte er sich nach den Zugsverbindungen in Richtung Wien und beschloss sodann, sich bis zum Montagmorgen in die eigene Wohnung zu verfügen.
Am 12. Dezember stand Bronstein um 6 Uhr morgens frierend auf dem Perron des Südbahnhofs und wartete auf die Abfahrt des Zuges nach Ödenburg. Ein geschwätziger Reisegefährte blieb ihm diesmal erspart, und so kam er ohne gröbere Behelligungen wieder in der östlichen Kleinstadt an. In der Kossuthgasse versicherte man ihm allerdings, dass die Peidl auch an diesem Tag ihren Dienst nicht angetreten hatte.
Doch dieses Mal hatte er mit dieser Möglichkeit gerechnet. Noch am Freitag Nachmittag hatte er sich von der Wiener Polizeidirektion ein Amtshilfeersuchen aushändigen lassen, mit dem er hoffte, bei den ungarischen Kollegen Gehör für sein Anliegen zu finden. Er forderte beim Regimentskommandanten einen Wagen an und fuhr mit diesem die drei Kilometer zum Grenzposten. Dort
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