Mischpoche
zeigte er seine Papiere vor und erklärte mit Hilfe des Fahrers, der leidlich Ungarisch konnte, dass er in ein Dorf namens ›Und‹ wolle, in dem er eine wichtige Zeugin vermute, die er dringend befragen müsse.
Damit freilich löste er im ungarischen Lager mehr Besorgnis aus als die Präsenz der österreichischen Garnison auf der anderen Seite des Schlagbaums. Verwundert sah Bronstein, wie seitens der Uniformierten Melder losgeschickt wurden, während ein weiterer Ungar hektisch in ein Feldtelefon sprach. Bronstein sagte sich, die ganze Angelegenheit werde nun wohl ein Weilchen dauern. So setzte er sich auf das Trittbrett des Wagens und zündete sich eine Zigarette an.
Fünf abgerauchte Stummel lagen zwischen seinen Schuhen, als ein Oberleutnant der Grenzschutztruppen an ihn herantrat.
»Mein Vorgesetztér szogt, ich szoll Szie bringén noch Und. Er wird dort wartén auf Szie. Folgén Szie mir bitté.«
Seinen eigenen Wagen musste er zurücklassen, sogar sein Fahrer hatte am Grenzposten zu verbleiben. Als Dolmetscher werde der Oberleutnant dienen, versicherte man Bronstein. Der hörte diesen Satz gar nicht mehr wirklich, denn ehe er es sich versah, saß er auf einem wackligen Krad, dessen Verkehrstauglichkeit er in höchstem Maße anzweifelte. Dankbar registrierte er die Information, der Ort sei lediglich zwei bis drei Kilometer vom Grenzposten entfernt. Die freilich wäre er liebend gerne zu Fuß gegangen.
Vierzehneinhalb Vaterunser später stieg er vom Motorrad ab und näherte sich schwankend der Gruppe ungarischer Polizisten, die bereits vor dem Haus der Peidl warteten.
»Dér Hérr Hauptmonn sagén, Frau Peidl nicht da.«
»Na perdautz aber auch!«, entfuhr es Bronstein, der sich verzweifelt bemühte, den Überraschten zu mimen. »Weshalb denn das? Und vor allem: weiß man, wo sie ist?«
Die fünf Polizisten wechselten lautstark Sätze auf Ungarisch. Dann wandten sie sich wieder Bronstein zu. Er musste sich die Frage gefallen lassen, weshalb er die Peidl überhaupt zu sprechen wünsche. In möglichst einfachen Worten erklärte er, dass sie eine besonders wichtige, weil mutmaßlich einzige Zeugin in einem Mordfall sei. Und daher müsse er sie besonders dringend befragen.
Wieder berieten sich die Ungarn. Schließlich entfernte sich einer von ihnen und begab sich in das Nachbarhaus der Peidl. Geraume Zeit später kehrte er mit einem jungen Mädchen zurück, das auf Ungarisch auf die Männer einredete. Bronsteins Dolmetscher fasste die Suada in einem einzigen Satz zusammen. Die Peidl sei am Mittwoch angekommen, habe eilig einen Koffer gepackt, dabei etwas von Budapest geraunt und sei sodann überstürzt mit ihrem Fahrrad davongefahren.
Bronstein kraulte seinen Kinnbart. Entweder die Peidl hatte eine Mordsangst vor dem tatsächlichen Mörder Bürkls oder, und das erschien ihm wesentlich wahrscheinlicher, sie hatte den Mann selbst umgebracht. Warum, das wäre noch zu klären, aber dass sie es getan hatte, dessen war er sich bereits ziemlich sicher.
Doch jetzt war sie ihm schon wieder entwischt. Und bis Budapest reichten auch die allerbesten Verbindungen des Wiener Sicherheitsbüros nicht. In der Millionenmetropole würde er sie nie finden. Und die Budapester Kollegen schon gar nicht, denn in ihren Augen lag ja nichts gegen die junge Frau vor. Damit würde der Fall Bürkl wohl ungelöst bleiben. Er hatte sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert in dieser Angelegenheit, dachte er sich und seufzte. Sein Zustand blieb auch den Ungarn nicht verborgen. Der Hauptmann legte seine Hand auf Bronsteins Schulter und sagte einige Worte in seiner Sprache, wobei sein Tonfall wohl etwas Tröstliches haben sollte. Der Oberleutnant erklärte, man werde eine Personenbeschreibung an alle Dienststellen zwischen Kaposvár und Budapest übermitteln, und sollte die Peidl gefunden werden, dann werde man die österreichischen Behörden davon in Kenntnis setzen. Bronstein blieb nicht mehr übrig, als zu nicken und ein stockendes »Köszönöm szépen« hinterherzuschicken.
Der Oberleutnant bot ihm an, ihn zu seinem Auto zurückzubringen, doch Bronstein winkte ab. Er wolle allein sein, weshalb er es vorziehe, die drei Kilometer zu Fuß zu gehen, damit er wieder auf klare Gedanken komme.
Tatsächlich gab es für ihn in Ödenburg nichts mehr zu tun. Ohne das Hotel Bauer noch einmal aufzusuchen, fuhr er mit dem Abendzug zurück nach Wien.
Dort erhielt er am Mittwoch einen Anruf. Die Verbindung war überaus schlecht, doch was er den
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