Mischpoche
hieß. Die machte achtlos ihr Zeichen und ließ sich widerstandslos in die Zelle führen. Bronstein griff zum Fernsprecher und ließ sich mit dem Leiter der Staatspolizei verbinden. Da dieser nicht erreichbar war, erstattete er dessen Stellvertreter Bericht und schlug abschließend vor, die Peidl mittels eines Auslieferungsbegehrens nach Wien expedieren zu lassen. Danach überzeugte er sich persönlich, dass die Peidl sicher verwahrt war, um schließlich endlich wieder die Heimreise anzutreten.
Tags darauf wurde er vom obersten Staatspolizisten zu einer Vorsprache einbestellt. Federnden Schrittes überwand er die Korridore, die sein Büro von jenem des Kommandeurs trennten, und erwartete eine wortreiche Belobigung für seine Ermittlungen. Er war kaum im Amtszimmer des Abteilungsleiters, als er unaufgefordert erklärte, er sei sich sicher, der Fall Bürkl sei nur noch Formsache.
»Nicht einmal das«, entgegnete der Spitzenbeamte.
Das war nun nicht gerade die Reaktion, die er sich erwartet hatte.
»Äh, wie bitte?«
»Ja, ein schöner Bericht, den Sie da geliefert haben. Zweifellos. Und hervorragende Ermittlungstätigkeit. Kompliment, Herr Kollege. Aber leider völlig für, wie man so schön sagt, die Würste.«
Bronstein verstand die Welt nicht mehr.
»Was sagen Sie da, Herr Kommandant. Ich fürchte, ich verstehe nicht recht …«
»Schau’n S’, Braunstein, die G’schicht’ hat sich g’hoben. Haben S’ keine Zeitung g’lesen heute Morgen? Die Ungarn haben die Abstimmung g’wonnen. Ödenburg g’hört wieder denen. Und damit ist der Fall Bürkl kein Fall mehr. Zumindest nicht für uns. Das Papier da«, und dabei deutete er auf Bronsteins Bericht, »das können S’ skartieren.«
»Aber«, beharrte Bronstein, »Mord ist Mord. Egal, wer regiert. Dann müssen wir unsere Untersuchungen halt den Ungarn zur Verfügung stellen, damit die eine Strafverfolgung in die Wege leiten …«
»Sind S’ nicht naiv, Kollege, wir wissen beide, dass dieser Bürkl einer von unsere Agitatoren war. Dem weinen die Ungarn keine Träne nach. Und da Sie ja nachgewiesen haben, dass er von einer Ungarin ermordet worden ist, werden die erst recht nichts tun.«
»Aber das geht doch nicht. Dann bliebe die Bluttat ja ungesühnt«, entfuhr es Bronstein.
»Na und? Glauben S’, das kommt nicht alle Daumen lang vor? Trösten S’ Ihnen damit, dass Sie den Fall gelöst haben. Und wenn S’ einmal Ihre Memoiren schreiben, dann können S’ dort ja festhalten, wie die Geschichte damals wirklich war. Jetzt aber vergessen wir am besten beide, dass diese Geschichte überhaupt je passiert ist.«
Bronstein starrte fassungslos vor sich hin.
»Na, jetzt sind S’ nicht so betroppetzt, Kollege. Da kriegen S’ was Schönes. Genießen S’ es.«
Ein Urlaubsschein wanderte von einer Seite des Schreibtischs zur anderen, und darauf lag eine Geldanweisung, auf der das Wort ›Belohnung‹ deutlich zu lesen war. Bronstein sah auf den Tisch, dann auf den Beamten, schluckte, nickte und stand auf.
Eigentlich, so dachte er, als er im Abteil des Kurswagens nach Neufeld an der Leitha Platz nahm, war es sogar in Ordnung, dass die arme Peidl ungeschoren davonkam. Sie hatte es schon bislang nicht leicht in ihrem Leben gehabt, und ihre Tat würde sie auch so ihr ganzes Leben lang büßen. Und wer wusste schon, ob sie die unerwartete Chance, die ihr die Wechselfälle des Schicksals eingeräumt hatten, nicht zu tätiger Reue zu nutzen wusste.
»Ah, der feine Herr, der was nach Ödenburg unterwegs war. Simma wieder ein Gespann, was?«
Angewidert starrte Bronstein auf den Hennersdorfer Saufkopf. Das Leben war tatsächlich nicht gerecht. Und das Schicksal mitunter auf eine grausame Art launisch.
1922: Nacht über Simmering
»Wenn heute nur bloß kein Mord geschieht!« Zum wer weiß wie vielten Male murmelte Bronstein diesen einen Satz vor sich hin. Sogar Pokorny machte sich schon um ihn Sorgen, und dabei wusste der, was seinen Chef so umtrieb. Das alles entscheidende Spiel um die österreichische Fußballmeisterschaft stand am Abend an, und erstmals überhaupt hatte der Wiener Sportclub eine Chance, die Mannschaft, der Bronstein die Daumen hielt, seit er fünfzehn Jahre zuvor nach Dornbach in die unmittelbare Nähe des Sportclubplatzes gezogen war, womit er sagen konnte, ein Sportclub-Anhänger der ersten Stunde zu sein, denn der Verein war gerade damals aus einer Fusion früherer Clubs entstanden. In den fünfzehn Jahren hatte es freilich für
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