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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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eigentlich gar keinen Grund zu überschäumender Freude gab. Weihnachten stand vor der Tür, und für ihn würde es ein weiteres trostloses Fest allein in seiner de facto viel zu großen Wohnung in der Walfischgasse werden. Er war beinahe 50 und immer noch Junggeselle. Seine Eltern waren schon lange dahingegangen, Brüder, Schwestern oder sonstige Verwandte besaß er nicht, und von Jelka hatte er auch seit Ewigkeiten nichts mehr gehört, weshalb er, wie schon all die Jahre davor, alleine vor dem aufgeputzten Christbaum sitzen und sich in Selbstmitleid baden würde, das die penetranten Kinderchöre im Sender der RAVAG fraglos noch nachhaltig verstärkten. Irgendwann gegen 9 Uhr abends würde er dann sein einziges Geschenk unter dem Baum hervorholen, das er sich selbst erst am Vortag gekauft hatte, täte gekünstelt überrascht und heuchelte dann Freude über den marineblauen Pullunder, für den er objektiv keine Verwendung hatte, womit wenigstens dieser eine Aspekt von üblichen Weihnachtsfeiern bei ihm gegeben wäre.
    Bei Cerny lagen die Dinge naturgemäß völlig anders. Der war jung, hatte Familie, eine wunderhübsche Frau und zwei kleine Kinder. Da machte Weihnachten wirklich Freude. Gemeinsam putzte man am Weihnachtsmorgen den Baum auf, hängte Äpfel, Glaskugeln und Lebkuchen in die Äste, garnierte das Ganze mit Lametta und wartete dann mit roten Backen, dass das Christkind seinen Weg in das festlich geschmückte Zimmer fand. Vielleicht würde man dann noch ›Stille Nacht’ gemeinsam singen – im Falle der Cernys eventuell ein tschechisches Pendant – , und dann könnten Herr und Frau Cerny mit glückseliger Miene beobachten, wie sich ihre Kinder über die Geschenke hermachten. Der kleine Cerny, so hatte Bronstein in Erfahrung gebracht, bekam eine Spielzeuglokomotive, und für das Fräulein Tochter gab es in diesem Jahr eine Puppe und einen Teddybären von der berühmten Firma Steiff. Es würde Cerny und seine Frau eine Menge Mühe kosten, die beiden Rangen von ihren Spielzeugen wegzubekommen, um gemeinsam den Weihnachtskarpfen essen zu können, doch am Ende kämen alle holdselig in die Betten, wo sie traumlos einschlafen konnten, weil alle Träume bereits während des Tages in Erfüllung gegangen waren.
    Dennoch freute sich Bronstein. Und sei es auch nur, weil ihm nun ein beachtlich langer Urlaub bevorstand. Während Cerny am 26. bereits wieder Journaldienst machen musste, konnte er, Bronstein, bis zum 2. Jänner dem süßen Nichtstun frönen. Wenigstens dabei war ihm das Glück hold gewesen, denn der Weihnachtstag fiel auf einen Samstag, womit auch der letzte Tag des Jahres ein Samstag und Neujahr somit ein Sonntag war. Mit lediglich vier Urlaubstagen kam man somit bequem ins Jahr 1933. Die einzige Frage, die es noch zu klären galt, war, welchen Nutzen man aus diesen freien Tagen ziehen sollte.
    »David!«
    Cernys Ruf riss Bronstein aus seinen Gedanken. Er blickte auf und sah, dass sein Mitarbeiter ein in Geschenkpapier gewickeltes Paket in seiner Hand hielt. »Frohe Weihnachten, David. Das ist von mir und meiner Frau. Aber weißt eh, nicht aufmachen, bevor nicht der Engel durch’s Zimmer gegangen ist.« Dabei lächelte Cerny verschmitzt.
    Bronstein war unendlich dankbar, und dies gleich aus zwei Gründen. Einerseits dafür, dass es doch jemanden gab, der an ihn dachte, und andererseits darüber, dass er, insgeheim auf eine solche Gunstbezeugung hoffend, selbst auch etwas für die Cernys besorgt hatte. Natürlich hätte er es ihnen in jedem Fall gegeben – wohin sollte er als alleinstehender Hagestolz auch sonst mit seinem Gehalt? –, doch jetzt fiel das Überreichen von Geschenken gleich noch viel schöner aus. Unwillkürlich dachte Bronstein an den Vortag zurück. Für sich selbst hatte er keine fünf Minuten gebraucht, doch der Einkauf der Geschenke für die Cernys war beinahe zu einer Expedition geworden. Gut, für den Kollegen gab es ein Päckchen Zigarren. Das war leicht, denn Cerny paffte immer wieder gerne eine Virginier, auch wenn er sie sich aus Kostengründen oftmals versagte. Dem konnte also rasch abgeholfen werden. Doch was schenkte man einer Frau? Und was erst den Kindern? Ach, glücklich der Kieberer, der keine anderen Sorgen hatte.
    Wie froh konnte man sein, dass man im friedlichen Wien lebte! Ein Blick in die Zeitung genügte, um zu erkennen, dass Österreich, aller Probleme zum Trotz, eine wahre Insel der Seligen war. Allein schon, was sich in Berlin in diesen Tagen alles ereignete!

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