Mischpoche
Initiative wäre ein glatter Staatsstreich und würde für die Republik zur Katastrophe werden!
»Du, das müssen wir verhindern!«, entfuhr es Bronstein eine Nuance zu laut.
»Na, was glaubst du, warum ich da bin!« Der alte Hunne hatte sich also an ihn, Bronstein, gewandt, weil er nicht gewusst hatte, wem er sonst von seiner Entdeckung berichten sollte. Er jedoch war nicht minder ratlos.
Gleich darauf aber wich Bronsteins Erregung wieder einer gewissen Nüchternheit. Nein, so weit würde nicht einmal der Großkotz aus Rom gehen. Eine derart offensichtliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes käme einem beispiellosen Affront gleich, den die Entente niemals hinnehmen würde. Dem Maulhelden der Schwarzhemden war fraglos viel zuzutrauen, aber dass er sich gleich mit Paris und London anlegte, bloß, um einem adeligen Wirrkopf aus Österreich einen Gefallen zu tun, das wagte nicht einmal der Mini-Cäsar aus Predappio. Zumal er damit auch den Kanzler düpieren würde, und der konnte sich eine solche Eskapade gerade jetzt, wo seine Partei eine Wahl nach der anderen verlor, ganz und gar nicht leisten. In Bronstein nahm die Skepsis überhand.
»Bist du dir da ganz sicher? Ich meine, wie vertrauenswürdig ist dieser Luigi? Vielleicht macht sich der mit solchen Sprüchen nur wichtig?«
»Ich kenne den Mann seit 1920. Der ist hundertprozentig glaubwürdig. Wenn der so etwas erzählt, dann stimmt es auch.«
»Man müsste halt Genaueres wissen«, sinnierte Bronstein.
»Ich dachte, du könntest vielleicht über deine Kanäle …, ich meine, vielleicht gibt es jemanden in Udine, der sich das einmal anschauen könnte.«
Bronstein lachte: »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass bei den italienischen Kollegen noch irgendjemand dabei ist, der sich mit dem Mussolini anlegen würde. Nein, nein, die Zeiten sind vorbei. Und zwar schon lange. Da bräuchten wir schon einen eigenen Agenten. Aber wie du weißt, zählt der Kanzler zu den persönlichen Freunden des Duce. Da ist nichts zu machen! … Es sei denn …«
»Es sei denn, was?« Bronsteins letzter Halbsatz hatte Nemeths Neugier erweckt.
Dieser blieb eine kleine Weile ruhig, bis er seine Gedanken geordnet und zu Ende gedacht hatte. »Kann dein Luigi herausfinden, wann die Waggons aus Udine abgehen sollen?«
»Wahrscheinlich schon. Irgendwann nächste Woche, denke ich. Vermutlich an einem der Werktage, da fällt die ganze Sache noch weniger auf. So zwischen Dienstag und Donnerstag, würde ich einmal sagen.«
»Hmm, vielleicht sollte ich … Urlaub in Italien machen. Was meinst du?«
Nemeth war erstaunt: »Du würdest selbst …«
»Du, ich habe eine ganze Woche frei, und ich weiß eh nicht, was ich zu Hause machen soll. Da fällt mir als altem Junggesellen ohnehin nur die Decke auf den Kopf. Teuer wär’s halt.«
»Wie man’s nimmt. Bis zur Grenze könnten wir dich bringen«, beeilte sich Nemeth, Bronsteins Zweifel zu zerstreuen. Und dabei ahnte er nicht, dass es dieser Mühe eigentlich gar nicht mehr bedurfte.
Es war spät geworden an jenem Abend. Das Weihnachtswochenende verbrachte Bronstein in einer merkwürdigen Stimmung gespannter Erwartung. Tatsächlich hatte er mit einem Mal das Gefühl, endlich wieder einmal etwas Besonderes zu tun. Mit jedem Tag, der in der Routine der Schreibtischarbeit im Büro verging, fühlte er sich nutzloser, und jetzt auf einmal tat sich die Möglichkeit auf, aus der nervtötenden Routine auszubrechen. Er, der keine Hobbys und keine Familie hatte, er, der eigentlich auf nichts mehr hoffen konnte und nur mehr Siechtum und Alter entgegensah, er war drauf und dran, erneut in einer brenzligen Situation seinen Mann stehen zu können. Ein Hauch von Rolf Torring wehte ihn an, und der blaue Pulli war mit einem Mal nur noch eine unbedeutende Nebensache. Das Geschenk der Cernys freilich ließ er unangetastet. Damit wollte er sich nach seiner Rückkehr selbst belohnen, denn sonst, so viel war einmal sicher, würde es niemand tun. Im Gegenteil! Wäre er erfolgreich, so hätte er der Schar seiner Gegner neue hinzugefügt, die in ihrer Macht zudem kaum unterschätzt werden konnten, und würde er scheitern, dann stand er vor dem gesamten Präsidium als Trottel da. Aber wenigstens nicht als der alte Trottel, als der er sich selbst immer öfter wahrnahm! Anscheinend, so gestand er sich ein, brauchte er solche Situationen, um sich lebendig zu fühlen. Und die Erwartung eines Abenteuers gab auch seiner Existenz, wie er meinte,
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