Mischpoche
Behördlicherseits, mein’ ich.«
»Du«, auf Bronsteins Gesicht zeigte sich ein Strahlen, »das könnt’ wirklich funktionieren. Eine, die so am Sand ist, dass sie mit einer Sau wie dem Wrbik mitgeht, die ist entweder sowieso eine Hur’ oder sie ist sonst irgendwie ned ganz frank. Du hast recht, irgendwann wird die sicher schon einmal in unsere Gasse gekommen sein.« Beschwingt nahm Bronstein das Telefon in die Hand und veranlasste das Notwendige, um die Fingerabdrücke der Ermordeten zu nehmen. Dann freilich begann das enervierende Vergleichen von Datensätzen, und Bronstein dankte innerlich Gott dafür, dass in der Wienerstadt verhältnismäßig wenige Frauen mit der Exekutive in Konflikt gerieten. Dennoch musste ein gutes Dutzend Beamter mehrere Stunden die entsprechenden Karteien durchforsten, ehe endlich einer von ihnen fündig wurde. »Heureka!«, schrie Bronstein und vertiefte sich sofort in den betreffenden Akt. Was er da zu lesen bekam, ließ ihn einigermaßen erschüttert zurück.
Die Tote war eine gewisse Marie Novacek gewesen, die aus Böhmen nach Wien gekommen war. Bereits mehrmals hatte man sie in die CSR abgeschoben, doch sie war jedes Mal auf’s Neue nach Wien zurückgekommen, hatte immer abenteuerlichere Wege gefunden, sich doch in der Stadt festsetzen zu können. Zuletzt freilich hatte sie im Obdachlosenasyl gewohnt. Zumeist jedenfalls. Denn in den letzten 18 Monaten war sie nicht weniger als sechs Mal im Gefängnis gesessen, zumeist wegen öffentlicher Unzucht, mehrmals aber auch wegen Ruhestörung, Randalierens und Beleidigen einer Amtsperson.
»Jetzt hör’ dir das an«, sagte er mit matter Stimme zu Cerny, »die arme Maus ist erst am Donnerstag aus der Haft entlassen worden. Und schon einen Tag später läuft sie ihrem Mörder in die Arme. Das muss man sich einmal vorstellen! Sachen gibt’s!«
»Na, wundert es dich? Angesichts der Zeiten, in denen wir leben?«
»Was haben die Zeiten damit zu tun?«
»Na hörst, je roher die Zeiten, desto roher die Menschen. Das haben wir ja schon unmittelbar nach dem Krieg gesehen. Und jetzt ist es anscheinend schon wieder so weit.«
»Na, hör’ mal. So viel Pessimismus aus so jungem Munde!«
»Na ja, wenn ich alt wäre, könnt’ es mir ja vielleicht egal sein, aber so …«
»Glaub’ mir, ich bin alt, und mir ist es auch nicht egal.«
»Apropos«, lenkte Cerny Bronsteins Aufmerksamkeit auf ein neues Faktum, »wir haben die Handtasche von der Novacek g’funden.«
»Und? War was drinnen?«
»Ja, hundert Kronen. Das war ihre gesamte Barschaft.«
Bronstein pfiff durch die Zähne. Die Krone war seit sieben Jahren nicht mehr gültig, und selbst wenn irgendjemand dieses Geldstück noch akzeptiert hätte, die Novacek hätte bestenfalls einen Untersetzer aus Pappendeckel dafür bekommen. »Bist du narrisch, was? Arm wie eine Kirchenmaus, und trotzdem ein Mordopfer. Du, ich glaub’, lang halt’ ich den Beruf nicht mehr aus.«
»Zum Glück haben wir nicht jeden Tag eine solche G’schicht’. … Was wird jetzt aus dem Wrbik?«
»Was soll werden mit dem? Der kommt vor’s Geschworenengericht, und dort werden s’ ihm den Frack geben. Was anderes kommt gar nicht in Frage.«
»Lebenslänglich?«
»Ja, sicher. Mit der Gefühlsrohheit, mit der der agiert hat! Hätt’ er sie einfach nur erschlagen, käm’ er vielleicht mit Totschlag, vielleicht sogar im Affekt, davon. Bei seinem Vorleben wären das aber auch 10 Jahr’. Aber wenn der die Leiche dann auch noch zerstückelt, als wär’s eine Sau bei einer Hausschlachtung, dann kannst gar nichts anderes machen, als den lebenslang einzusperren. Sonst brechen doch alle Dämme, wenn so etwas nicht ordentlich gesühnt wird.«
Cerny dachte eine Weile über Bronsteins Worte nach, dann nickte er langsam. Ja, die Höchststrafe war in einem solchen Fall wohl unabdingbar. Er hätte sich gerne eingeredet, dass auch Wrbik auf seine Art ein Opfer der Umstände, einer kalten Gesellschaft und ihrer menschenverachtenden Prinzipien geworden war. Doch just bei Wrbik griff eine solche Erklärung wohl nicht. Der hatte die Menschenverachtung ganz konkret demonstriert. Und auch danach nicht die geringste Reue gezeigt.
»Hast recht«, sagte Cerny schließlich. »Wir haben es manchmal schon mit einer ordentlichen Mischpoche zu tun.«
1932: Waffenbrüder
»Ah, noch 20 Minuten bis Dienstschluss. Cerny, ich freu mich so.« Bronstein war direkt enthusiastisch ob dieser Perspektive, und das, obwohl es für ihn
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