Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
Mädchen. Du bist mit einem Detective verlobt, vergiß das bitte nicht. Als ich Lady Cheringham da in Gummistiefeln und erdverkrusteten Hand- schuhen im Garten stehen sah, eine Schaufel in der Hand und Grasflecken auf dem Rock bis an die Knie, da hab ich mir ge- dacht: entweder die Dame hat gerade eine Leiche verbuddelt oder aber …«
»Idiot«, sagte Daisy lachend. Ihr Lachen mochte er beson- ders gern.
Er war ja völlig von ihr hingerissen, dachte er bei sich, und dieser Gedanke kam ihm nicht zum ersten Mal. Im Leben würde er nicht mehr von ihr lassen, da konnten ihrer beider Mütter so sehr gegen diese Verbindung opponieren, wie sie wollten. Und die schier entsetzlichen Verwirrungen, in die seine Verlobte ihn allzu oft stürzte, würden daran auch nichts mehr ändern.
Sie gingen durch die gastfreundlich offenstehende Tür hin- ein in eine hübsche Eingangshalle mit Parkettfußboden. Alec, der an der Universität Geschichte belegt und sich dabei auf die Georgianische Epoche spezialisiert hatte, erfreute sich insbesondere an der stimmigen bläulich-grau und weiß ge- streiften Tapete aus der Regency-Zeit und am mit Intarsien geschmückten, halbmondförmigen Tisch.
»Rosen«, sagte er und wies auf die Blumenvase auf dem Tisch, die vom darüber hängenden Spiegel reflektiert wurde.
Wieder mußte Daisy lachen. »Angeber! Jetzt komm und laß dich mal allen vorstellen. Na, fast allen, die Mannschaft wird schon auf dem Wasser sein.«
Sie führte ihn durch ein hübsches, gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer auf die Terrasse, von der aus man einen Blick auf den Fluß hatte. Vier junge Männer in weinroten Blazern sprangen auf die Füße, und auch ein hübsches blondes Mädchen stand auf, Daisys Cousine Patricia Cheringham, wie sich herausstellte.
Miss Cheringham begrüßte ihn genauso freundlich wie ihre Mutter, doch wirkte sie etwas müde. Es mußte sehr anstren- gend für sie sein, das Haus voller kräftiger, lauter Ruderer zu haben. Sie stellte ihm ihre Freundin Miss Carrick vor, eine eher unscheinbare junge Dame mit einer wie warmer Honig fließenden Stimme, und die vier jungen Studenten. Der große Respekt, mit dem sie ihm begegneten, war ohne Zweifel sei- nem hohen Alter geschuldet, dachte er selbstironisch. Seine Stellung hingegen würde sie keinesfalls beeindrucken, selbst wenn sie von ihr wüßten. Für diese privilegiert heranwach- senden Adels- und Grundbesitzer-Sprößlinge würde ein Poli- zist niemals so richtig »einer von uns« sein.
Wenigstens schien es sie nicht zu stören, daß er nicht ganz den richtigen Akzent hatte. Nicht zum ersten Mal dankte Alec im stillen seiner Mutter, die nicht zugelassen hatte, daß seine Sprachmelodie auch nur das geringste bißchen nach North London klang. Er sprach klassisches King’s English, und zwar ein noch reineres als diese ganze Mannschaft. Mit ihrem Uni-Jargon und den wohlgerundeten Stimmen klangen sie allesamt wie aufgeblasene Idioten.
Eton und Oxford machten nicht unbedingt aus jedem jungen Mann einen aufgeblasenen Idioten, schalt sich Alec. Er mußte die Dinge wirklich gelassener sehen.
Alle zusammen gingen sie zum Flußufer, wo zwei Doppel- Skullboote angetäut lagen. Im Heck eines jeden gab es einen Sitz mit Blick nach vorn, zum V-förmigen Platz im Bug, und zwei Bänke für die Ruderer in der Bootsmitte.
»Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, daß ich dich jetzt hinüberrudere«, flüsterte Alec seiner Verlobten leise zu, als er den Schwarm kleiner Boote sah, die sich alle stromaufwärts bewegten. »Wenn ich mit der Strömung zu Rande kommen soll, kann ich nicht auf den Schiffsverkehr achten. Und um- gekehrt. Beides gleichzeitig geht nicht. Ein Ausflug auf der Serpentine, dem Teich im Hyde Park, ist alles, was ich an Erfahrung zu bieten habe.«
»Ich hab schon mal auf dem Severn gerudert.«
»Dann kannst du mich ja hinüberrudern.«
»Wohl kaum! Das ist Jahre her, und außerdem ist der Se- vern ein viel kleinerer und ruhigerer Fluß. Aber wir haben ja zum Glück unsere vier kräftigen jungen Ruderer.«
Die Männer des Ambroser Ruderteams hatten ohnehin an- genommen, daß sie die Skulls hinübersteuern würden. Miss Cheringham und Miss Carrick stiegen bei Meredith und Leigh, Alec und Daisy bei Wells und Poindexter ein.
»Sie wissen doch, wie man ein Boot lenkt, Mr. Fletcher?« fragte Miss Carrick, als er sich mit Daisy auf dem gut ge- polsterten Sitz im Heck niederließ.
Daisy drückte ihm die Steuerleinen in die Hand.
»Ich glaub, ich schaff das schon«,
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