Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
den Kopf. »Nein. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es sich um eine Subduralblutung handelt. An beiden Seiten des Schädels fin- den wir Hämatome. Also schlicht gesagt: Man hat ihm auf den Kopf geschlagen.«
7
Daisy starrte die Leiche an. Wie DeLancey da in seinen durch- näßten Rudershorts und dem durchgeweichten Hemd lag, wirkte er geradezu mitleiderregend harmlos. Seine giftige Zunge war jetzt zum Schweigen gebracht worden, aber an- scheinend nicht durch Gift.
Schaudernd wandte sie sich ab. Alec legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie kurz an sich.
Als er sie wieder losließ, schaute er sich um. Daisy folgte seinem Blick. Die Gesichter in der Menge spiegelten unter- schiedliche Regungen wider: Schrecken, Neugier, Aufregung. Cherry war eindeutig entsetzt. Seine vier Ruder-Kameraden standen wie angewurzelt mit aschfahlen Gesichtern da. Etwas weiter entfernt erblickte sie Tish, die auf der Uferwiese zu- sammengekauert saß, den Kopf in den Händen vergraben. Daisy fragte sich, ob sie ihrer Cousine beistehen sollte, als Dottie die Arme um Tish legte. Sie schien die Situation be- stens im Griff zu haben.
Dem Constable hing der Unterkiefer herab. Diese Situa- tion überforderte ihn wohl.
Alec seufzte. »Ich bin Polizist«, tat er mit resigniertem Tonfall kund. »Detective Chief Inspector Fletcher vom Scot- land Yard. Das hier fällt nicht ganz in mein Aufgabengebiet, aber ich übernehme mal, bis einer der Männer von der ört- lichen Polizei die Angelegenheit in die Hand nimmt. Con- stable …?«
»Rogers, Sir.« Der Mann salutierte, und seine Erleichterung war deutlich spürbar. »Inspector Washburn ist da drüben an der Tribüne im Einsatz. Soll ich ihn mal holen?«
»Nein, ich brauche Sie jetzt hier.« Alec wandte sich an die Mannschaft von Ambrose. »Könnte einer von Ihnen bitte den Inspector hierherholen?«
»Ich geh schon.« Leigh zog seinen Blazer aus und reichte ihn Meredith. »Hier, leg das mal über ihn.« Eilig lief er den Treidelpfad entlang.
Meredith blieb mit dem Blazer in den Händen stocksteif stehen. »Tot?« sagte er mit merkwürdig gepreßter Stimme. »DeLancey ist tot?«
»Ich fürchte, ja.« Daisy nahm ihm die Jacke aus der Hand und half dem Arzt dabei, DeLanceys Kopf und Oberkörper damit zu bedecken. Sie achtete darauf, nicht in das Gesicht des Toten zu schauen. Der Arzt kam ihr bekannt vor, obwohl sie sich einigermaßen sicher war, ihn noch nie gesehen zu haben.
Alec und Constable Rogers beendeten ihre kurze Unter- redung, und Rogers begann, die Menge aufzulösen und die Menschen stromaufwärts oder stromabwärts weiterzu- schicken. Als Alec sich wieder zum Ort des Geschehens wandte, sagte Cherry: »Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, dann würde ich die Damen gerne nach Hause bringen.« Alec bemerkte, daß er vor Kälte zitterte, als er eine Geste in Rich- tung Tish und Dottie machte.
»Ja, Sie sollten wirklich los und sich umziehen. Aber blei- ben Sie dann bitte im oder am Haus. Die Polizei wird mit Ihnen sprechen wollen. Und nehmen Sie unter allen Umstän- den Ihre Cousine und Miss Carrick mit. Nur Daisy möchte ich hierbehalten.«
Sein Tonfall versetzte Daisy nicht gerade in Verzückung. Hätte sie doch nur ihre Theorie von der Nikotinvergiftung nicht sofort herausposaunt. Gott sei Dank hatte sie sich ge- irrt. Die Feststellung, daß ein am Vorabend verabreichtes Ge- gengift DeLancey vielleicht das Leben hätte retten können, wäre ja einfach schrecklich gewesen.
Alec bat Poindexter, Wells und Meredith, in der Nähe zu bleiben, für den Fall, daß man sie noch benötigen sollte, und wandte sich dann dem Arzt zu. Im selben Moment erscholl ein Rufen vom Fluß.
»Hallo, da drüben!« Die Barkasse der Stewards war an den Ponton vor ihnen gelangt. »Was geht denn hier vor, verflixt noch mal?«
»Polizei! Wir haben hier einen Todesfall.«
»Und was ist mit unserem nächsten Rennen?« verlangte ein offenbar wichtiger Mensch mit lilafarbenem Gesicht zu wis- sen, auf dessen Schädel eine mit goldenen Kordeln verzierte Seemannsmütze thronte.
»Lassen Sie das ruhig durchlaufen. Das macht dem hier auch nichts mehr aus. Aber wie Sie sicherlich mit Ihrem Fern- glas gesehen haben, bringen zwei Ruderer den Vierer noch die Rennstrecke hoch. Das dürfte zu zweit ziemlich schwer zu steuern sein. Vermutlich bleibt denen nichts anderes übrig, als bis zum Ziel auf der Rennstrecke zu bleiben.«
»Genau. Zwischen den Pontons können sie nicht wenden, und aus der Bahn kommen sie auch nicht mehr
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