Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
weinen.
Zu seinem Erstaunen sehnte Alec Daisy herbei. Er nahm Tishs Hand und führte sie zum Sessel. Während seiner Be- rufslaufbahn war er schon mit so mancher weinenden Frau zurechtgekommen, und auch mit mehr als nur ein paar wei- nenden Männern, aber noch nie mit einer, die demnächst seine nahe Verwandte werden würde.
Ausgerechnet in diesem ungelegenen Augenblick klingelte das Telephon. Natürlich könnte das Gespräch für jeden ande- ren im Haus sein, aber es war auch an der Zeit, daß Bott zurückkehrte. Alec blickte Tom an, der nickte und leise den Raum verließ.
Alec setzte sich auf die Sessellehne zu Tish und reichte ihr sein Taschentuch. »Jetzt putzen Sie sich erst mal tüchtig die Nase«, sagte er. »Das sage ich immer zu meiner Tochter. Viel- leicht gehört sich das nicht so ganz gegenüber einer jungen Dame.«
»Cherry hat das auch immer gesagt, als ich noch klein war.« Ein schüchternes Lächeln umspielte ihre Lippen, und sie schaute ihn mit tränennassen Augen an. »Ich wußte gar nicht, daß Sie eine Tochter haben. Daisy hatte nur erwähnt, daß Sie schon einmal verheiratet waren.«
»Ja.« Er ging zum Schreibtisch. Es war ihm nicht ganz klar, ob er damit gerade die Situation etwas auflockerte und seine Zeugin freundlicher stimmte oder ob er die Bekanntschaft mit der Cousine seiner Verlobten vertiefte, doch fuhr er fort: »Joan ist 1919 an der Grippe gestorben, genau wie Daisys Va- ter. Belinda ist neun Jahre alt. Sie liebt Daisy über alles.«
»Daisy ist wirklich wunderbar, nicht wahr?« Hinter ihr nickte Ernie Piper energisch – zu seiner Erleichterung sah Alec, daß er noch nicht angefangen hatte, mitzuschreiben. »Man hat das Gefühl, man kann ihr einfach alles erzählen. Ich wünschte, ich hätte sie schon besser gekannt, als ich noch jün- ger war. Ich weiß gar nicht, was ich gestern nacht ohne sie an- gefangen hätte.«
»Fühlen Sie sich in der Lage, jetzt darüber zu reden? Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, Einzelheiten von Daisy zu erfahren. Und außerdem hilft es immer, wenn man zwei Zeugen hat. Dem einen fällt oft etwas auf, was der andere gar nicht mitbekommen hat.«
»Wo soll ich denn anfangen?« fragte Tish mit zitternder Stimme.
»Kehren wir doch noch einmal zum gestrigen Rennen zurück. Es gibt jede Menge Zeugen dafür, wie DeLancey Bott ins Wasser gestoßen hat. Aber keiner hat vom ersten Mal be- richtet, als er auf die Idee kam, Bott könnte das Viererboot beschädigen. Daisy hat das auch nur en passant erwähnt. Wa- ren Sie dabei?«
»O ja. Das war später in der General Enclosure. Dottie und Cherry und Rollo und ich holten uns gerade etwas zu trinken es war unerträglich heiß. Daisy war gerade zu uns gestoßen. Sie war mit Bott und seiner Freundin losgegangen, und wir hatten uns schon ein bißchen Sorgen gemacht, wo sie eigent- lich abgeblieben war. Ich erinnere mich aber … Oh!«
»Woran denn?«
Tish errötete. »Ach, nur, daß Dottie ihr sagte, wir hätten fast schon die Polizei gerufen, aber wir seien nicht sicher ge- wesen, ob wir die Bobbies vor Ort oder gleich Scotland Yard verständigen sollen. Nur ein Scherz, verstehen Sie. Daisy meinte, Sie hätten ihr den Hals umgedreht.«
»Womit sie recht hätte«, stimmte Alec lachend zu. »Waren Bott und seine Freundin auch dabei?«
»Nein, Gott sei Dank. Denn genau in dem Moment er- schienen die Gebrüder DeLancey. Es wirkte so, als hätten die beiden sich nur gestritten, seit wir sie zuletzt gesehen hatten. Mr. DeLancey entschuldigte sich für die Szene mit Bott, aber es wirkte nicht so, als meinte er das ernst. Es war ganz offen- sichtlich, daß Lord DeLancey ihn dazu gezwungen hat. Und genau da hat Basil DeLancey angefangen, seine Sorgen wegen des Bootes zu äußern.«
»Machten Frieth und Cheringham sich auch Sorgen?«
»Kein bißchen«, erwiderte Tish rasch. Zu rasch? »Cherry sagte: ›Quatsch‹ – nein, er nannte das ›abgrundtiefen Un- sinn‹, und Rollo sagte, sie würden ihn auf keinen Fall bei der Nachtwache unterstützen. Dann meinte Lord DeLancey, Basil solle kein Esel sein, er würde sich nur lächerlich machen, wenn er die ganze Nacht im Bootshaus herumsäße. Und das war es dann.«
»Es wurde gar nicht mehr darüber geredet? Ihr Vetter und Frieth haben das nicht weiter erörtert?«
»Nachdem die DeLanceys gegangen waren, sagte Rollo nur, damit wäre die ganze Sache wohl abgehakt. Cherry meinte noch, Lord DeLancey sollte seine Autorität gegenüber sei- nem kleinen Bruder doch häufiger
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