Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
fiebrig?« Sie legte die Hand auf seine Stirn. »Soll ich die Krankenschwester rufen?«
»Nein! Um Himmels willen, jetzt mach nicht so einen Auf- riß, Susan.«
»Vielleicht geht es Ihnen besser, wenn Sie einen Schluck Wasser nehmen, Sir. Von dem vielen Sprechen haben Sie be- stimmt einen ganz trockenen Mund.«
Als Bott widerwillig nickte, half Tom ihm, sich aufzuset- zen, und Susan reichte ihm das Glas vom Nachttisch. Nach einem großen Schluck setzte er angewidert ab: »Schmeckt ge- nauso wie die Themse.«
»Und kommt auch direkt aus dem Fluß, vermute ich. So, noch ein oder zwei Fragen, Sir, dann lasse ich Sie in Frieden. Verstehen Sie, wir müssen einfach wissen, warum Sie sich mit Lord DeLancey treffen wollten. Hat er Sie etwa erpreßt?«
» Mich erpreßt?« Bott schnaufte freudlos lachend auf. »Was zum Teufel hab ich denn, das er haben wollte? Ist das sonst nicht umgekehrt? Erpresser werden doch gemeinhin von ihren Opfern ermordet.«
»Es kann immer noch sein«, sagte Tom langsam und bedeu- tungsschwer, »daß Sie ihn angegriffen haben. Vielleicht hat er Sie in Notwehr angeschossen.«
»Also hören Sie mal! Versuchen Sie nicht, mich zum Übel- täter dieses Stückchens zu machen!« rief Bott aus. »Wenn Sie es genau wissen wollen: er dachte, ich würde ihn erpressen wollen. Ich bin zum Temple Island gerudert, weil ich mir den Spaß gönnen wollte, ihn auszulachen. Der wollte versuchen, mein Schweigen zu erkaufen, dachte ich. Nur hat er nicht ver- sucht, mich zu kaufen, sondern mich umzubringen.«
»Und was genau wissen Sie über Lord DeLancey, Sir, von dem es ihm lieber wäre, daß Sie darüber schweigen?«
Es folgte eine lange Pause. Daisy stellte fest, daß sie den Atem anhielt, und es schien so, als täte Susan dasselbe. Tom wartete mit unendlicher Geduld. Der Kampf, der in Horace Bott wütete, war aus seinem Mienenspiel eindeutig zu er- kennen.
»Meinetwegen!« platzte es schließlich aus ihm heraus. »Cedric DeLancey hat seinen Bruder umgebracht!«
18
»Hat er das wirklich so formuliert?« fragte Alec. Daisy schaute noch einmal auf ihre Notizen, die sie in ihrer beson- deren Abwandlung der Pitman-Kurzschrift verfaßt hatte. Da niemand außer ihr sie lesen konnte und Alec einen wort- getreuen Bericht verlangt hatte, war sie in die Besprechung zwischen ihm und Sergeant Tring im Schwesternzimmer ein- bezogen worden, Alecs innerem Widerstand zum Trotz. Tom hatte Bott nicht unterbrechen wollen, um sich einzelne For- mulierungen in die Feder diktieren zu lassen. Alec war von der schnellen Gesundung Botts überrascht worden.
›»Cedric DeLancey hat seinen Bruder umgebracht‹«, wie- derholte Daisy. »Aber danach hat Bott kein einziges Wort mehr gesagt. Bis die Krankenschwester hereinkam und Ser- geant Tring und mich hinausgeworfen hat. Nur Susan hat sie bei ihm bleiben lassen. Es würde mich nicht wundern, wenn die ihn in der Zwischenzeit überzeugt hat, daß man eine solche Anschuldigung nicht einfach im Raum stehenlassen kann.«
»Ganz zu schweigen davon, daß ich eine Erklärung will, warum er mir das nicht früher erzählt hat«, stimmte ihr Alec verärgert zu. »Tom, was ist mit der Mauser?«
»Hervorragend poliert, Chief.« Toms Miene verriet nichts. »Noch nicht einmal ein paar verwischte Fingerabdrücke?
Es kann also kein Gerangel gegeben haben?«
»Es sei denn, beide haben Handschuhe getragen.«
»DeLancey behauptet, er hätte Handschuhe angezogen.
Bott aber nicht. Jedenfalls trug er keine, als wir ihn aus dem Fluß gefischt haben. Ich wage zu bezweifeln, daß er lange ge- nug im Wasser war, daß die Strömung sie ihm von den Hän- den gerissen hat.«
»Lord DeLancey behauptet, die beiden hätten sich um die
Pistole geprügelt?« fragte Daisy.
»Er sagt, Mr. Bott hätte ihm die Waffe entrissen und sich
dann selbst angeschossen, Miss«, teilte ihr Piper mit.
»Selbstmord! Aber er wirkte überhaupt nicht wie einer, der
gerade erfolglos versucht hat, sich umzubringen! Oder irre
ich mich da, Mr. Tring?«
»Kann ich auch nicht finden, Miss. Hat Lord DeLancey
schon gesagt, warum Mr. Bott sich umbringen wollte, Chief?« Alec schaute ihn stirnrunzelnd an, dann Daisy und seufzte.
»Schuldgefühle und Angst vor dem Strang. Was soll’s, ich er- zähl es einfach.« Und es folgte eine seiner bewundernswert
knappen Zusammenfassungen, diesmal von seiner Unter- redung mit DeLancey. »Hab ich was vergessen, Ernie?« Piper hatte seine stenographischen Notizen durchgeblät- tert, während Alec sprach.
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