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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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Patientengeschichte klären. Bei der Untersuchung am besten nach Körperregionen vorgehen, damit man nichts vergisst. Ich atme kurz auf. Theoretisch ist alles da. Jetzt muss man es nur noch umsetzen.
    Dr. Ross wartet vor dem Aufnahmeraum. Sie drückt mir einen Anamnesebogen in die Hand und öffnet die Tür.
    Â»Na dann bin ich mal gespannt!«, sagt sie knapp. Ein winziges »Sie schaffen das schon« wäre nett gewesen.
    Auf der Liege sitzt ein älterer Mann. Als ich mich vorstelle, sagt er: »Bisschen jung, was?« Ich nenne mein Alter und meinen Ausbildungsstand – und stelle dann aus Verlegenheit auch Dr. Ross vor. Das beruhigt ihn ein wenig. Sehr nett eigentlich, dass die Stationsärztin sich die Zeit nimmt, bei der ersten Aufnahme dabei zu sein. Es kann sein, dass ich bald mehrere Patienten am Tag allein aufnehmen muss. Besser, ich habe es wenigstens einmal unter Aufsicht richtig gemacht.
    Ich beginne mit der Patientenbefragung und fülle den Anamnesebogen aus. Dirk Schwendler, 62, hat eine Virusmyokarditis, eine infektiöse Herzmuskelentzündung, wohl hervorgerufen durch Influenzaviren. Jedenfalls hatte er eine Virusgrippe undjetzt haben die Viren als Begleiterkrankung das Herz angegriffen. Dirk Schwendler ist außerdem verheiratet, starker Raucher und ziemlich herablassend. Das Letztere gehört allerdings nicht in den Patientenbogen. Leider. Wäre interessant, wenn das mal mit aufgezeichnet würde: 62, Raucher, Großkotz. Kann nicht mit jungen Frauen. Zur Sache, Lena! Als ich den Bogen endlich ausgefüllt habe, sind bereits fast 20 Minuten vergangen. Und ich habe mit der körperlichen Untersuchung noch gar nicht angefangen. Leider habe ich zu auffällig auf die Uhr geschaut; jetzt sieht auch Dr. Ross zur Uhr und runzelt die Stirn. Ich weiß, sie ist in Eile. Aber Herr Schwendler möchte sich gebührend über seine Symptome aussprechen, das kann man ihm auch nicht verwehren. Doch am Ende des Tertials muss ich einen Patienten in maximal 30 Minuten aufnehmen können. Ich muss viel schneller werden.
    Bei der körperlichen Untersuchung sollte man aber auch nicht hetzen. Das wird mir spätestens klar, als ich in der Eile das Stethoskop fallen lasse und nun von beiden einen strafenden Blick ernte. Super. Wenigstens läuft die restliche körperliche Untersuchung komplikationsfrei. Herr Schwendler lässt sich widerspruchslos durchchecken, solange ich ihn weiter belehrend über seine Symptome sprechen lasse. Die Anwesenheit der Stationsärztin hat in ihm offenbar den Eindruck geweckt, dass er vor allem hier ist, damit ICH etwas lerne. Dazu will Herr Schwendler gern beitragen. Ich lasse ihn dozieren und konzentriere mich nur auf die Untersuchung. Zwischendurch fange ich sogar ein kleines Grinsen von Dr. Ross auf. Offenbar findet meine Taktik ihre Zustimmung. Zum Abschluss prüfe ich noch einmal das Röntgenbild, das Schwendlers Hausarzt mitgeschickt hat, ordne eine Blutuntersuchung, ein EKG und einen Ultraschall vom Herzen an und rufe eine Schwester, die Herrn Schwendler auf ein Zimmer bringen soll. Herr Schwendler scheint fast enttäuscht, dass es schon vorbei ist. Ich hingegen bin ziemlich froh, als die kleine Schwester Tanja den schulmeisterlichen Patienten hinausführt.
    Dr. Ross nickt mir zu. »Nächstes Mal muss es doppelt soschnell gehen. Sonst war alles okay.« Ich bedanke mich und will den Aufnahmeraum verlassen – als Dr. Ross mich zurückruft. Was will sie denn noch? Sie nimmt die frisch angelegte Patientenakte an sich und kommandiert: »Jetzt stellen Sie mir mal den neuen Patienten vor!«
    Ach ja. Auf diesen Test hätte ich vorbereitet sein können. Also reiß dich noch mal zusammen, Lena! Ich erinnere mich erst an das Alter des Patienten, dann an die Diagnose, dann an seinen Namen. Noch mal im Kopf sortieren und her mit den einstudierten Formulierungen: »Der Patient Schwendler ist 62 Jahre alt und männlich. Er litt vor ca. einer Woche an einer Virusgrippe und wurde nach ärztlicher Vorbehandlung durch den Hausarzt stationär eingewiesen. Die Diagnose des Hausarztes ist Virusmyokarditis. Dies habe ich bestätigt …«
    Die passenden Formulierungen fließen wie von selbst über meine Zunge. Geübt ist geübt. Und Patientenvorstellungen haben wir geübt wie die Irren. Leider kann ich meine perfekte Vorstellung nicht zu Ende bringen. Dr. Ross unterbricht

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