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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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Zeigefinger. Erst als sie das verspricht, überreiche ich ihr die Ergebnisse.
    Im Galopp macht sie sich auf den Weg zu Klaras Tresen, immerhin ist es schon 13 Uhr. Doch Jenny wäre nicht Jenny, wenn sie nicht vor der Ecke stoppen, die Haare glatt streichen und seelenruhig zum Tresen stolzieren würde wie die Siegesgöttin der Station. Und die angefressene Miene, mit der Schwester Klara die Umschläge in Empfang nimmt, ist ihre süße Belohnung.
    Ich gehe etwas langsamer hinter Jenny her. Im Zimmer 15 zieht gerade Herr Schwendler ein; eine Schwester packt seine Sachen aus. Frau Klein kommt also vorerst nicht hierher zurück. In meinem Magen ballt sich eine fiese Faust. Während ich eben mit Jenny herumgekichert habe, war Frau Klein völlig aus meinen Gedanken verschwunden. So schnell geht das. Wir sind ebenimmer noch Mädchen, unreif, albern, gedankenlos. Vielleicht ist das auch in Ordnung, der Arztberuf kann einen trotz aller Befriedigung ja ziemlich niederdrücken. Ich fühle mich trotzdem gemein. Einfach, so irrational das auch sein mag, weil ich weiß, dass Frau Klein sonst niemanden hat, der an sie denkt.
    Bei der Visite überkommt mich plötzlich mit voller Wucht das gegenteilige Gefühl. Eine richtig gute, heimelige Ärztinnenstimmung. Ich kenne alle Patienten hier, die Polizistin, das Pferdemädchen – sogar schon den letzten Neuzugang, den wichtigtuerischen Herrn Schwendler. Ich kenne ihre Geschichte, ihre Beschwerden, ich weiß, wie ich mit ihnen reden muss. Ich habe ihre Therapien und Prognosen im Blick und sie vertrauen mir – mehr oder weniger zumindest. Als ich den Rentner in der 11 über seine Blutwerte aufkläre und ihm zum Abschluss die Freude mache, auch nach dem Befinden seines Hundes zu fragen, sagt plötzlich eine kleine Stimme in mir: Das ist es. So kann es immer weitergehen. So soll dein Leben sein. Das ist es, was du sein willst. Ärztin. Eine Brausepulverblase zerplatzt sanft in meiner Magengegend. Das richtige Leben ist ganz nah.
    Als wir uns Zimmer 16 nähern, steigt meine Stimmung noch ein klein wenig – und erst kurz vor der Tür wird mir klar, dass DAS jetzt nicht mehr gerechtfertigt ist. In der 16 liegt ja seit gestern Isas Hepatitispatient. Komisch, für mich ist es immer noch Manuels Zimmer, beim Betreten warte ich unwillkürlich auf den ersten frechen Spruch und sein gewinnendes Lächeln dazu. Ich beschließe, doch den Übergriff auf seine Akte zu wagen und ihn anzurufen. Isa macht ihre Sache gut; sie stellt den neuen Patienten flott, aber gewissenhaft vor, und an dem zuversichtlichen Lächeln, mit dem der ältere Herr ihren Ausführungen folgt, sieht man sofort, dass die sanftmütige, einfühlsame Isa sein Herz und sein Vertrauen schon gewonnen hat.
    Nachdem endlich auch die wöchentliche Fallbesprechung überstanden ist – leider kann man Marie-Luise nichts vorwerfen, sie hat wirklich gut gesprochen – gehe ich hinüber auf die Intensivstation. Hinter der Glastür beginnt eine andere Welt. Esist still, meine Schritte klingen viel zu laut auf dem Linoleum. Die Tür zum Schwesternzimmer steht offen. Ich erkläre den beiden Schwestern, zu wem ich möchte, und merke, dass ich unwillkürlich flüstere.
    Â»Das ist ’ne Nette, die Frau Klein«, sagt die Schwester leutselig. »War das Ihre Patientin?«
    Ich verneine. Dass ich bloß PJlerin bin, hat die Schwester offenbar nicht begriffen. Sie behandelt mich ziemlich ehrerbietig und fragt, ob ich den zuständigen Kollegen sprechen möchte. Als ich ablehne, bedankt sie sich für meine Rücksicht.
    Â»Der schläft nämlich gerade mal fünf Minuten. Sie wissen ja, diese Dauerschichten …«
    Ich beteuere, dass »der Kollege« wirklich nicht geweckt werden muss und frage mich insgeheim, wie lange er wohl schon Dienst hat. Werde ich auch mal so? Im Krankenhaus schlafen, weiterarbeiten, wieder im Büro übernachten, noch eine Schicht? Wie schaffen es andere, wie Dr. Ross, das Krankenhaus jeden Tag pünktlich zum Glockenschlag zu verlassen? Mangelndes Interesse? Schlamperei? Selbsterhaltungstrieb?
    Die Schwester zeigt mir Frau Kleins Zimmer und lässt mich allein. Frau Klein wird maschinell beatmet. Sie scheint zu schlafen. Das Beatmungsgerät summt, sonst ist es ganz still. Ich setze mich ans Bett. Warte, sehe mich um. Das Zimmer ist karg, an der Wand nur ein nichtssagender

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