Miss Emergency
mich.
»Wissen Sie was? Das ist völliger Quatsch.«
Ãh ⦠Gehtâs noch? Das ist es, was an der Uni gelehrt wird. Das ist eine vorbildliche Patientenvorstellung!
Dr. Ross lächelt müde. »Im ersten Satz müssen Sie mir sagen, was mit ihm los ist. Ab dem zweiten Satz höre ich schon nicht mehr richtig zu. Wenn Sie wollen, dass ich Ihren Patienten nicht versehentlich umbringe, sagen Sie mir das Wichtigste im ersten Satz.« Damit drückt sie mir die Patientenakte in die Hand und geht.
Ich bin einen Moment sprachlos. Es trifft mich immer persönlich, wenn sich herausstellt, dass etwas, was ich engagiert auswendig gelernt habe, für die Katz ist. Aber irgendwie ist Dr. Ross auch unerwartet lässig. So viel Selbstironie habe ich ihr jedenfalls nicht zugetraut.
Erst ärgert es mich schon, dass der Papierkram für die Aufnahme von Herrn Schwendler mich wieder so viel Zeit kostet, am Tempo muss ich unbedingt noch arbeiten. Doch als ich inRichtung Cafeteria stürme, um der fast vergangenen Mittagspause wenigstens noch ein Brötchen abzuluchsen, bekomme ich ein Geheimnis geschenkt. Auf dem Rückweg zur Station offenbart sich mir, ganz ohne mein Zutun, die Lösung für Jennys Labor-Rätsel. Denn neben mir geht ein schlaksiger junger Laborant mit einem Stapel Umschläge. Wenn das nicht die Vormittags-Ergebnisse sind, komme ich morgen im Bademantel zur Arbeit. Das ist natürlich die einzig mögliche Antwort auf die Frage, wie Jenny in 5 Minuten in den Laborkeller und zurück geflitzt sein kann: GAR NICHT. Die Ergebnisse werden ihr geliefert. Und wie sie den jungen Mann dazu gebracht hat, kann sogar ich mir denken.
Ich gehe etwas langsamer, der Laborant ebenfalls. Aha, er will nicht erwischt werden. Es ist ja auch nicht seine Aufgabe, den PJlerinnen die Ergebnisse hinterherzutragen. Wahrscheinlich droht ihm Ãrger, wenn er seinen Platz regelmäÃig so lange und grundlos verlässt. Ich spiele ein wenig Katz und Maus mit ihm, verlangsame und beschleunige mein Tempo und merke amüsiert, dass er mich loswerden möchte. SchlieÃlich bleibt er stehen und tut, als studiere er das Schwarze Brett vor dem Stationseingang. Natürlich bleibe ich auch stehen. Er sieht sich unruhig um, ich grinse ihn an. Der arme Junge schwitzt. Ich muss ihn erlösen.
»Gib schon her«, sage ich. »Ich gebe es ihr.«
Er tut kurz, als wisse er nicht, worum es geht; dann habe ich ihn überzeugt, dass er mir ruhig die Umschläge anvertrauen kann. Es stellt sich heraus, dass er immer hier drauÃen wartet, damit niemand merkt, dass Jenny die Ergebnisse gebracht kriegt â dass sie ihn aber oft unangenehm lange warten lässt. Der Laborant gesteht mit verlegenem Grinsen, dass er sich schon mehrfach regelrecht verstecken musste, damit Jennys Trick nicht auffliegt. Aber ich bin sicher, wenn sie ihn bitten würde, im Handstand zu warten, würde er das auch noch tun â so wie seine Augen leuchten, wenn er ihren Namen ausspricht. Der Junge ist erleichtert, dass ich ihm die Umschläge abnehme. »Meine Pause ist nämlich gleich um«, lächelt er unsicher. Der arme Junge opfert also seinePause für Jennys. Ich schicke ihn ins Labor zurück. Es ist fünf vor eins, Jenny muss gleich hier aufkreuzen und ich habe Lust, den Spaà zu verdoppeln.
Drei vor eins kommt Jenny gehetzt. Sie stockt â und sieht sich konsterniert um. Sie kann nicht glauben, dass ihr Jüngelchen heute nicht da ist. Sie sieht auf die Uhr, späht die Treppe hinunter. Dann sieht sie mich. Ich frage unschuldig, was sie hier tut. Müsste sie nicht auf dem Sprint ins Labor sein? Muss sie nicht gleich am Tresen abliefern? Aber wenn ich dachte, dass sie Ausflüchte sucht, lag ich falsch.
»Quatsch!«, trompetet sie freimütig. »Diesen Gewaltmarsch mache ich doch schon ewig nicht mehr! Ein Typ bringt das Zeug zu mir rauf! ⦠Theoretisch â¦Â«
Sie sieht sich unruhig um. Natürlich ist kein Typ zu sehen â aber auch die Umschläge sind wohlverborgen.
»Ich bring ihn um!«, faucht Jenny. Die Undankbarkeit in Person. Erst als sie losstürzen will, um die Ergebnisse selbst zu holen und nebenbei wahrscheinlich dem armen Laboranten den Kopf abzureiÃen, ziehe ich die Befunde unter dem Kittel hervor. Jenny stürzt auf mich los.
»Du sollst deine Freundinnen nicht beschwindeln!«, ermahne ich mit erhobenem
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