Miss Emergency
Druck. Eine Landschaft, wie sie tausendmal ähnlich Ikea-gerahmt in tausend anderen Krankenzimmern hängt. Noch mehr als die vielen Geräte neben dem Bett betont dieses Bild die traurige Funktionalität des Zimmers. Es geht nicht mehr darum, dem Patienten ein behagliches Gefühl zu verschaffen. Wer hier liegt, braucht nur ein Standardbild.
Frau Klein schläft. Ich weià nicht recht, was ich tun soll. Wie lange soll man sitzen bleiben, wenn der andere gar nicht weiÃ, dass man da ist? Ich hätte Blumen mitbringen sollen, an denen sie sich freuen kann, wenn sie aufwacht. Aber der muffige Klinikshop, aus dem ohnehin nur ein müdes Kraut zu bekommen gewesen wäre, hat schon geschlossen. Frau Klein bewegt sich einwenig, doch sie wacht nicht auf. Die Infusionskanüle an ihrem Arm ist nicht richtig festgeklebt. Ich nehme die Pflasterrolle vom Nachttisch und fixiere die Kanüle ordentlich an dem dünnen Arm, damit sie nicht verrutscht, wenn Frau Klein sich wieder bewegt. Dann kann ich nichts mehr tun. Ich stehe auf, so müde. Ich lege die Hand auf den dünnen Arm und sage: »Gute Besserung. Bis morgen.« Vielleicht hört sie es ja im Schlaf.
Als ich mich zur Tür wende, wird die eben geöffnet. Die Schwester lässt Isa und Jenny herein. Isa hat einen Blumenstrauà dabei und die Schwester bringt beflissen eine hässliche Vase. Jenny nimmt ihr das verschnörkelte Ungetüm aus der Hand.
»Na, darin muss sich das Gestrüpp aus dem Geschenkeshop wenigstens nicht schämen!«, spottet sie.
Die Schwester kichert leise. Ich wundere mich, wie sie dem Krankenhausladen überhaupt noch etwas abgeluchst haben. Isa deutet vielsagend auf Jenny. »Mit Vehemenz.« Die Schwester richtet die hässliche Vase auf dem Nachttisch aus.
»Ich sag ihr morgen, dass die von Ihnen sind«, flüstert sie, »da wird sie sich aber freuen!«
»Ich würde uns das struppige Kraut um die Ohren hauen«, grinst Jenny.
»Morgen bringen wir schönere mit«, beruhigt Isa und Jenny kontert: »Vielleicht haben wir Glück und sie sieht das hier bis dahin gar nicht.«
Ich stehe zwischen meinen Mädels und der kichernden Schwester und mir fehlen irgendwie die Worte. Alles ist schrecklich, die albernen Sprüche und die winzige, schlafende Oma. Aber ich bin gerührt. Von Isa, die auf Zehenspitzen hinausschleicht und es selbstverständlich findet, morgen wiederzukommen, und von Jenny, die dem hässlichen Blumenstrauà einen kleinen Knuff gibt und mir durchs Haar wuschelt. »Wird schon wieder, deine kleine Omi!«
»Bis morgen«, nicke ich der Schwester zu und schleiche zwischen meinen Freundinnen hinaus. Wie schön, dass ich ihnen überhaupt nichts erklären muss.
A m nächsten Tag habe ich zwei Missionen: Ich möchte etwas für Frau Klein tun â und etwas für mich. (Das Zweite ist natürlich Manuels Nummer. Ich habe beschlossen, dass ich ihn wirklich gern wiedersehen möchte. Und dass es für die Frau, die den gröÃten Teil seiner Patientenakte verfasst hat, durchaus in Ordnung ist, auch nach der Entlassung noch einen winzigen Blick in eben jene Akte zu werfen.) Meine beiden Missionen haben selbstverständlich nichts mit meinem Dienst zu tun. Der aber ist zum ersten Mal seit Langem entspannt.
Herr Schwendler, die Virusmyokarditis, ist heute freundlich, ohne so herablassend zu sein. Das erleichtert mich besonders, weil Dr. Ross mir eröffnet, dass ich Schwendler in der Fallbesprechung vorstellen soll. Paula Schwab, die Magenkrebspatientin, sieht mich heute bei der Blutentnahme zum ersten Mal an und erwidert sogar meinen GruÃ. Und als ich in der Mittagspause am Tresen des blauhaarigen Ruben selbstvergessen vor mich hin summe, macht er mir vor allen Anwesenden ein reizendes Kompliment.
»Lena«, lächelt er, »so wie du von innen her leuchtest ⦠Ich wette, jeder hier ist in dich verliebt!«
Ich freue mich nur ganz kurz. Dann wird mir klar, wer hinter mir steht. Der Oberarzt. Ich werde schamesrot, finde aber glücklicherweise eine Ausflucht, indem ich Ruben danke und behaupte, auch in ihn verliebt zu sein. Was soll man sonst sagen? Dr. Thalheim war die Situation wohl unangenehm, er hat abgedrehtund ist zum Anfang des Tresens zurückgegangen, um sich Besteck zu holen. Aber das war doch sicher kein Fluchtmanöver! Hatte er wirklich noch kein Besteck auf seinem Tablett, als er neben mir
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